Der Präsident des Iran, Mahmud Ahmadinedschad, will Israel von der Landkarte tilgen – stimmt’s? Nein, stimmt nicht: Ein entsprechendes Zitat von einer Anti-Zionismus-Konferenz im Oktober 2005 in Teheran wurde gefälscht. Und alle haben es übernommen.
»Als Bürgermeister von Teheran ließ er Fast-Food-Restaurants schließen und David-Beckham-Poster verbieten. Als Staatspräsident Irans bezeichnet er den Holocaust als ›Märchen‹ und fordert die Tilgung Israels von der Landkarte«, konnte man am 15. Dezember 2005 in Spiegel Online unter der Überschrift »Der Brandstifter« lesen.
Junge, junge – da fragt man sich, was eigentlich schlimmer ist.
»Ahmadinedschad hatte vor knapp drei Jahren international einen Aufschrei der Entrüstung ausgelöst, als er erklärt hatte, er hoffe, dass Israel von der Landkarte des Nahen Ostens getilgt werde«, schrieb die Süddeutsche Zeitung am 13. Mai 2008. Ahmadinedschad sei »der gefährlichste Mann der Welt«, hetzte die Bild-Zeitung: »Er will Israel auslöschen. Das sind keine hohlen Phrasen mehr.«
Stimmt, sondern falsche Phrasen. Mit Hilfe verfälschter Zitate baute die internationale Presse Ahmadinedschad zum dritten Monster nach Osama bin Laden und Saddam Hussein auf, um den USA zu ermöglichen, ein drittes Land zu überfallen. Dabei fällt die regelmäßige geostrategische Positionierung dieser Monster auf:
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| Bushs Vorderasien: Der Teufel
steckt im Detail |
Praktisch, wie? Rein zufällig haben sich die Teufel mit schöner Regelmäßigkeit im begehrten Vorderasien niedergelassen. Da sitzt praktisch Teufel an Teufel, und da kann natürlich nur noch der amerikanische Kammerjäger bzw. Exorzist George W. Bush helfen, um diesen Raum von dem Bösen zu reinigen.
»Ist in der Millionenmetropole Teheran ein neuer Adolf Hitler erstanden? Auch der Nazi-Verbrecher wurde jahrelang belächelt. Auch seine Hetze gegen die Juden nahm zunächst niemand ernst«, warnte die Bild-Zeitung. Seine »wichtigste Waffe«: Shish Kebap-3. Spaß beiseite: »Shehab-3, eine Boden-Boden-Rakete.«
Was war passiert? Bei einer Konferenz mit dem Titel »Die Welt ohne Zionismus« im Oktober 2005 hatte Ahmadinedschad angeblich gesagt, man müsse Israel
Schrecklich. Selbst die Bundeszentrale für Politische Propaganda bzw. Bildung schrieb auf ihrer Website: »Mit seiner Äußerung, Israel von der Landkarte tilgen zu wollen, sorgte Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad im Oktober 2005 weltweit für Empörung.« Im Original klingt das noch viel schrecklicher, fast wie eine Alien-Sprache aus Krieg der Sterne: »in rezhim-e eshghalgar bayad az safhe-ye ruzgar mahv shavad.« Puh. Feuer frei.
Augenblick. Es ist nämlich keine Aliensprache, sondern Farsi. Vulgo: Persisch. Jonathan Steele vom britischen Guardian war einer der ersten, die einen Artikel über die wirkliche Bedeutung des Satzes veröffentlichten. Und siehe da: Ahmadinedschad hatte etwas ganz Anderes gesagt, nämlich: »Dieses Besatzerregime muss von den Seiten der Geschichte verschwinden.« Oder einfacher: »Das Besatzungsregime muss Geschichte werden.«
»In der Formulierung ›Israel von der Landkarte tilgen‹, wie sie in den Medien tausendfach wiedergekäut wird, stecken drei Fehler«, zählt die Website arbeiterfotografie.com auf, die einen wesentlichen Anteil daran hat, dass auch deutsche Medien und Institutionen nunmehr langsam zurückrudern:
Wie man sieht, ist ein Zufallsfehler ausgeschlossen, denn in Wirklichkeit handelt es sich um drei gezielte Fehler in einem Satz.
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| Präsident Bush beim Abwurf
von Zeitungs-Enten |
Monatelang lieferten sich die »Arbeiterfotografen« einen Briefwechsel mit Medien und Institutionen, in dem sie eine Korrektur der Falschmeldungen forderten. Die Bundeszentrale für Politische Irrtümer dachte zunächst jedoch gar nicht daran, die Falschmeldung zu korrigieren. Denn dort kann man ja Zeitung lesen. Und da stand nun mal drin: Ahmadinedschad hatte die Vernichtung Israels gefordert:
»Die Formulierung steht im Einklang mit Darstellungen diverser seriöser Medien«, schrieb Dr. Bernd Hübinger von der BPB an die Arbeiterfotografen.
»Die über die nachfolgend angefügten Links (Zugriff 25.2.2008) zugänglichen, beispielhaften Texte und Darstellungen zu diversen Äußerungen Ahmadinedschads dürften hinreichend deutlich machen, welche Haltungen er Israel gegenüber eingenommen hat.
http://www.dw-world.de/dw/article/0,2144,2263137,00.html
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,381752,00.html
http://www.tagesschau.de/ausland/meldung153740.html
http://www.faz.net/s/RubE073BC45BF914FEAA6F729039898A785/Doc~E7341392685F74D4F8C8267FECE300169~ATpl~Ecommon~Scontent.html
http://www.netzeitung.de/spezial/nahost/371986.html
Die bpb hält daher an der gewählten Formulierung fest.«
Gut gebrüllt, aber leider falsch. So seriös sind all die seriösen Medien eben auch wieder nicht.
Erst auf eine Eingabe im Petitionsausschuss des Bundestages hin gab die BPB klein bei: »Die Bundeszentrale für politische Bildung hat in Sachen Falschdarstellung der Äußerungen des iranischen Präsidenten nun inzwischen gehandelt«, meldeten die Arbeiterfotografen am 28. April 2008, »und ist der über den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages erwirkten Aufforderung
nachgekommen.«
Selbst der Sprachendienst des Deutschen Bundestages hat inzwischen seine Hausaufgaben gemacht und »die fälschlich mit ›Israel von der Landkarte tilgen‹ übersetzte Passage jetzt wie folgt übersetzt:
»Unser lieber Imam [Khomeini] sagte auch: Das Regime, das Jerusalem besetzt hält, muss aus den Annalen der Geschichte [safha-yi rozgar] getilgt werden. In diesem Satz steckt viel Weisheit. Das Palästina-Problem ist keine Frage in welcher man in einem Teil Kompromisse eingehen könnte.«
Der Rückzieher der Kriegspropagandisten lief freilich weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab. Bei Spiegel Online muss man sich in einem Artikel über »Ahmadinedschads absurden Droh-Dschihad« durch eine 11-teilige Bildstrecke klicken, um zu erfahren, dass Ahmadinedschads Droh-Dschihad gar nicht so absurd ist, wie in der Headline behauptet. Bei Bild 9 taucht plötzlich und unvermittelt das richtige Zitat auf: »Das Besatzerregime muss Geschichte werden.« Das Originalzitat, kann man da lesen, sei oft »irrtümlich übersetzt« worden, nämlich mit: »Israel muss von der Landkarte radiert werden.« – »Das«, stellt Spiegel Online unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit klar, »hat der iranische Präsident so nicht gesagt.«
Und so ging es immer weiter:
Mit Schreiben vom 5. Juni 2008 meldete sich der Intendant des ZDF, Markus Schächter, bei arbeiterfotografie.com:
»Wir können Ihrer Kritik zustimmen und auch unsere Recherchen kommen zu dem gleichen Ergebnis. (…) Ich möchte Ihnen versichern, dass alle Kolleginnen und Kollegen über diesen Vorgang Kenntnis erhalten haben und die Übersetzung entsprechend berücksichtigen.«
Am 13. Juni 2008 schrieb der Chefredakteur der Nachrichtenagentur dpa:
»… die dpa wird in Zukunft bei der Berichterstattung darauf achten, dass der Iranische Präsident, Mahmud Ahmadinedschad, nicht die Auslöschung Israels oder dessen Tilgung von der Landkarte gefordert hat.«
Damit kommt der Kriegshetze gegen den Iran eine weitere wichtige Zutat abhanden. Denn bisher lautete die Milchmädchenrechnung:
Ahmadinedschad will Israel auslöschen
+ iranische Atombombe
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= drohender Holocaust
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Dass der Iran sein Atombombenprogramm schon vor Jahren aufgegeben hat, meldete selbst die CIA übrigens schon Ende 2007.
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Gerhard Wisnewski
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