Prügel, Verhaftungen, Schikane, Menschenrechtsverletzungen – die Rede ist allerdings nicht von China, sondern von Deutschland. Der neue »Grundrechte-Report 2008 «, eine Art alternativer Verfassungsschutzbericht, bietet einen schockierenden Rückblick auf das Jahr 2007 in der real existierenden deutschen Demokratie. Die ist inzwischen ebensoweit von der Demokratie entfernt, wie der real existierende Sozialismus vom Sozialismus.
Rostock, 2. Juni 2007. Auftaktkundgebung gegen die Politik der G8-Staaten vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm. Kleine Polizeieinheiten stoßen in die Menge der friedlichen Demonstranten vor und greifen Einzelne heraus. Die Zusammengehörigkeit der Demonstration, die als Ganzes dem Schutz des Versammlungsrechts untersteht, interessiert die staatlichen Schlägertrupps nicht. Gegebenenfalls schlagen sie sich ihren Weg frei und nehmen Einzelne fest: »So wurde etwa ein Demonstrierender aus der Menge gezerrt, an ihm hielt sich ein Rollstuhlfahrer fest. Dieser wurde aus seinem Stuhl gerissen und mitgeschleift. Die Festnahmen erschienen den Umstehenden immer willkürlich, sodass sie stets befürchten mussten, als
Nächste Opfer dieses polizeilichen Vorgehens zu werden. «
Rostock, irgendwann zwischen dem 6. und 8. Juni 2007. In einer Gefangenensammelstelle der Polizei stehen Frauen nackt und mit gespreizten Beinen an den Wand. Beamte inspizieren ihre vollgebluteten Monatsbinden: »Bitten um neue Hygieneartikel wurden ignoriert. Telefonate wurden verweigert, Fragen nach Rechtsbeiständen entweder ignoriert oder mit der falschen Auskunft beantwortet, die Anwältinnen und Anwälte hätten keine Zeit (diesen wurde währenddessen der Zugang zur ›GeSa‹ verweigert). «
Berlin, Sommer 2007. Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen eine terroristische Vereinigung. Unter anderem wird den Beschuldigten vorgeworfen, »dass sie zu bestimmten Treffen oder Spaziergängen ihre Handys nicht mitgenommen hätten oder, wenn doch, dann nur im ausgeschalteten Zustand. Dies entspräche, so der Vorwurf, ›den typischen Gepflogenheiten der linksextremen Szene zum Zwecke der Konspiration‹. Verdächtig sei es auch, wenn am Telefon nicht [!] über Politik gesprochen oder eine Verabredung nicht mit Ort und Zeit genau umschrieben werde. «
Nur drei Szenen aus dem demokratischen Tollhaus Bundesrepublik, dokumentiert im neuesten »alternativen Verfassungschutzbericht «, dem Grundrechte-Report 2008. Aus dem 250 Seiten starken Werk, das soeben bei Fischer erschien (Euro 9,95), geht hervor, wo die wirklichen Verfassungsfeinde sitzen, nämlich bei Staat, Polizei und Geheimdiensten. Der Bericht, der sich teilweise liest, wie ein Gruselroman aus dem finstersten China, beschreibt die »demokratische « Wirklichkeit im Deutschland des Jahres 2007. Menschenrechte wie das auf Wahrung der Menschenwürde oder das Recht auf körperliche Unversehrtheit interessieren überhaupt nicht, Grundrechte wie das Recht auf Versammlungsfreiheit oder Privatsphäre werden von den Behörden mit Füßen getreten.
Da können Fluggastdaten zur »Identifizierung « von Personen benutzt werden, die an einer Straftat künftig beteiligt »sein könnten « – mit anschließender Auswertung der Daten in einer »Risikoanalyse « und Identifizierung von »verdächtigen Mustern «: »Als suspekt bewertetes, völlig legales Verhalten, z. B. Telefonate, Reisen, Internetnutzungen, werden mit den Fluggastdaten abgeglichen und führen dann zur verstärkten Grenzkontrolle, zur gezielten Befragung, zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. « Dass Manche dann schon lieber Bahn fahren, hat »dazu geführt, dass von einigen EU-Regierungen ernsthaft darüber nachgedacht wird, auch den Schiffs- und Bahnverkehr entsprechend zu registrieren «.
Demokratie in Deutschland: Wer das Versammlungsrecht wahrnehmen will, hat mit Gebühren und immer absurderen Auflagen zu kämpfen. Schlimmstenfalls drohen Massenverhaftungen, Gefangenentransporte in überfüllten Bussen, überfüllte Zellen, keine ausreichende Nahrungs- und Trinkwasserversorgung, kein Zugang zu Telefonen und Anwälten.
Häftlinge werden 23 Stunden am Tag ohne Tageslicht in Kellerzellen gesperrt; wenn es nach den Verfassungsfeinden im Amt geht, soll schon bald die Bundeswehr im Inneren eingesetzt werden und vollbesetzte Passagiermaschinen auf Verdacht abgeschossen werden können. Der Staat will selber Hackerprogramme auf Computer schleusen, gewählte Abgeordnete werden schon jetzt von Geheimdiensten bespitzelt, die vom Innenminister der Konkurrenz- und Regierungspartei geleitet werden. Post wird willkürlich beschlagnahmt, Anwaltstelefone angezapft.
Um all das zu erleben, muss man keineswegs nach China fahren. Die hysterischen Anklagen in Richtung »Reich der Mitte « sind nur lächerlich. Zwar wird dort noch schlimmer mit Menschen umgesprungen, aber wenn das hierzulande so weitergeht, sind chinesische Zustände in Deutschland nur noch eine Frage der (kurzen) Zeit. Schließlich gehen auch in Deutschland, wie in Dessau, plötzlich mal gefesselte und bewegungsunfähige Gefangene in ihren Zellen in Flammen auf – ein Fall, der 2007 Gegenstand eines Strafverfahrens wurde. Erklärung der Staatsanwaltschaft laut Grundrechte-Report 2008: Das Opfer war erstens ein Entfesselungskünstler und zweitens ein Zauberer – es verfügte trotz vorheriger Durchsuchung über ein Feuerzeug.
China ist überall. Besonders hier.
Copyright © 2008 Das Copyright für die Artikel von Gerhard Wisnewski liegt beim Autor.
Gerhard Wisnewski
c/o Kopp Verlag, Bertha-Benz-Str.
72108 Rottenburg a.N.