Trotz des Abstimmungsergebnisses des SPD-Mitgliederentscheides vom 3. März 2018 ist die GroKo vielleicht doch noch nicht in trockenen Tüchern. Denn aus Sicht mancher SPD-Mitglieder ist der Beschluss nur aufgrund massiver Manipulationen zustande gekommen. Eine Gruppe rund um das langjährige Offenbacher SPD-Mitglied Olav Mueller will jetzt Anwälte beauftragen, um gegen das Ergebnis der Mitgliederbefragung vorzugehen…
Nur wenige kannten bisher Olav Mueller – außer vielleicht in Offenbach am Main, wo er seit langen Jahren SPD-Mitglied ist. Aber nun werden ihn bald viele kennen. Denn am 4. März 2018 hat er auf Facebook eine Rede veröffentlicht, die es in sich hat. Die Ansprache hat bereits über 125.000 Klicks. Über 35 Minuten lang geht Mueller den SPD-Parteivorstand frontal an. Sein Vorwurf lautet zusammengefasst: Der hochgelobte SPD-Mitgliederentscheid in Sachen GroKo war nichts anderes als ein von vorne bis hinten demokratiefeindlicher Putsch gegen die Basis. „Es ist Zeit, endlich aufzuwachen. Das Video hier heute von mir ist ein Weckruf, ein Weckruf nicht nur an alle Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, sondern es ist ein Weckruf an alle Demokraten im Lande, endlich wach zu werden und zu begreifen, dass hier Dinge passieren, die so nicht passieren dürfen, und wir müssen aktiv werden – aktiv nicht nur um die Ehre und die Zukunft unserer Sozialdemokratischen Partei, die über 155 Jahre alt ist, zu retten, sondern auch ein Weckruf, aktiv zu werden, um diese Demokratie wieder auf die Beine zu stellen.“
„Was hier passiert ist, ist ein Skandal…
Durch das Vorgehen der Parteiführung in Sachen GroKo sieht Mueller die Sozialdemokratie, aber auch die Demokratie in Deutschland in größter Gefahr und hat deswegen Maßnahmen gegen die Mitglieder-Abstimmung von Ende Februar/Anfang März 2018 über den Eintritt der SPD in eine neue Große Koalition angekündigt: „Denn das, was hier gerade passiert, ist ungeheuerlich, es ist skandalös und es ist ein Skandal, dass die Medien nicht ordentlich darüber berichten.“ Man müsse „schon eine ganz, ganz schwarze Brille aufhaben, um nicht zu sehen“, wie hier „Manipulation betrieben“ worden sei.
„Parteiführung hat Druck ausgeübt“
Schon auf dem SPD-Sonderparteitag vom 21. Januar 2018 in Bonn habe die Parteiführung massiven Druck ausgeübt, damit die Delegierten für die Aufnahme von Koalitionsgesprächen für eine Große Koalition stimmen. „Alle Mitglieder des Vorstandes, alle Altvorderen, die Medien, die Regierungschefs der anderen Länder: Alle haben der Parteibasis, den Delegierten, anempfohlen, wir müssen jetzt für diese GroKo stimmen.“ Aber trotzdem hätten 44 Prozent der Delegierten dagegen gestimmt. Schon das sei ein „Akt der Auflehnung“ gewesen, so Mueller. Zudem sei auf dem Parteitag der Beschluss gefällt worden, dass GroKO-Gegner und -Befürworter in der Diskussion um einen Einstieg in die GroKo ausgewogen zu Wort kommen müssten.
„Den Kritiker*innen einer auf dem Koalitionsvertrag basierenden großen Koalition“ seien „dieselben Möglichkeiten zur Artikulation ihrer Argumente einzuräumen wie den Befürworter*innen“, hieß es in einem Antrag des Kreis II, Altona (Landesorganisation Hamburg) in Bezug auf die Bedingungen für einen Mitgliederentscheid: „Das gilt sowohl für parteiinterne Veranstaltungen, Publikationen und (elektronische/ analoge) Korrespondenz mit Mitgliedern und Gremien, als auch für die allgemeine Öffentlichkeitsarbeit des Parteivorstandes.“
Dieser Beschluss sei grob missachtet worden, so Mueller: „Wenn ich sehe, wie während des Wahlgangs der Parteivorstand permanent parteiisch geredet hat und Einfluss genommen hat, dann war das nicht ausgewogen. Wenn ich sehe, dass der Parteivorstand während der Abstimmung gesagt hat, das Wahlergebnis steht auch schon zu 100 Prozent fest: ‚Wir werden für die GroKo stimmen‘. Wieviel Wahlbeeinflussung braucht es denn noch? Wie kann denn die Andrea Nahles während des Wahlgangs sagen, dass es klar ist, dass für die GroKo gestimmt wird? Natürlich ist das manipulativ. Natürlich beeinflusst sie dadurch die Mitglieder.“ Auch auf den SPD- Regionalkonferenzen sei es nicht ausgewogen zugegangen: „Die Befürworter der GroKo hatten immer viel mehr Redezeit, sind von Anfang an auf allen Regionalkonferenzen befürwortet [wahrscheinlich: „bevorteilt“] worden. Das zeigen alle Rückmeldungen aus allen Landesverbänden.“
«Schlimmer als im NS-Regime»
Wie man nach dem Rücktritt des Vorsitzenden Martin Schulz (am 13. Februar 2018) versucht habe, Andrea Nahles an der SPD-Satzung vorbei zur Vorsitzenden zu machen, sei „der Knaller gewesen“. Denn fällt der Vorsitzende aus, hätten satzungsgemäß natürlich dessen Stellverteter einspringen müssen. Nahles dagegen sei nicht einmal Mitglied des Parteivorstandes gewesen. „Nur weil wir ganz viele böse Briefe an die Kontrollkommission geschrieben haben und deutlich gemacht haben, dass wir Rechtsanwälte einschalten werden, und nur, weil sich dann große Landesverbände hinter uns gestellt haben – nur deswegen konnten wir in allerletzter Bekunde diesen Bruch unserer Satzung gerade noch so verhindern.“ Kommissarischer Vorsitzender wurde dann doch noch Olaf Scholz. „Aber es zeigt, wie sehr dieser Parteivorstand bereit ist, unsere Satzung zu brechen.“
„Schlimmer als im NS-Regime..“
Beim Mitgliederentscheid von Ende Februar/Anfang März 2018 habe es weitere schwere Verstöße gegen die demokratischen Regeln gegeben. So habe der Parteivorstand den Abstimmungsunterlagen für die SPD-Mitglieder einen „Werbebrief für die Große Koalition“ beigelegt: „Stellt euch mal vor, bei den Bundestagswahlen würdet ihr, wenn ihr in die Wahlkabine geht, noch ein Schreiben bekommen: aber die Frau Merkel ist bitte zu wählen, die hat doch eine schöne Arbeit geleistet! All das ist doch schlimmer wie in der DDR oder wie in dem NS-Regime…sowas darf einfach nicht vorkommen!“ Grundsätzlich hätte den Stimmzetteln überhaupt keine politische Werbung beiliegen dürfen, und wenn, dann nur von Befürwortern und Gegnern, wie es der Parteitagsbeschluss vom 21. Januar bestimmt habe. Aber nicht einmal der Absender des Briefes sei klar gewesen. So sei in dem dreiseitigen Schreiben mal der Parteivorstand, mal das Verhandlungsteam für die Koalitionsverhandlungen und im Briefkopf der Parteivorsitzende genannt worden. Der wirkliche Absender seien aber die GroKo-Befürworter gewesen.
„Ihr müsst alle weg!“
„Was wollen wir uns eigentlich noch alles gefallen lassen?“, fragt Mueller: „Nein liebe Freundinnen und Freunde – so geht das nicht!“ „WIR suchen jetzt gute Fachanwälte, die gegen die nachweisbare Manipulation vorgehen“ schrieb der SPD-Mann auf Facebook. „Die Beschlüsse vom Bundesparteitag sagen: gleiche Behandlung von Gegnern und Befürwortern. Permanent äußerte sich der Vorstand einseitig.“ Und das Mitgliederschreiben, „welches nicht vom Vorstand, sondern von Befürwortern quer durch die Reihen der SPD unterschrieben war, ist ungeheuerlich. Man stelle sich vor, die AfD hätte das gemacht. Der Vorstand sollte zurücktreten!“ – „Ich sag’s euch“, richtet er sich an den Parteivorstand: „ihr müsst alle weg – der ganze Parteivorstand muss weg!“
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Bleibt nur noch die Frage, wie ein angebliches SPD-Mitglied auf der Facebook-Seite der Jusos schon am 20. Februar 2018 das Ergebnis der Mitgliederbefragung vorhersagen konnte: „Ich habe heute meinen Brief weggeschickt und mit ‚nein‘ votiert“, schrieb da ein „Willy Schreil“ aus Chemnitz, „was aber wohl wenig nutzen wird, denn das Ergebnis liegt beim Politbüro schon vor: 66 % Zustimmung.“ Und exakt so kam es dann auch…
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
Mitte März kam es in Tibet, seit 1950 autonome Provinz der Volksrepublik China, zu Unruhen. Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann haben sich mit diesen Vorgängen auseinandergesetzt. Es geht dabei nicht darum, die Geschichte Tibets und das Verhältnis zu China aufzurollen und zu bewerten. Es geht vorrangig um die Frage, was uns durch die Medien über die jüngsten Vorgänge im März 2008 im Vorfeld der in China stattfindenden Olympiade vermittelt wird.
Was hat sich Mitte März in Lhasa, der Hauptstadt von Tibet, abgespielt? Werfen wir einen Blick in die Meldungen der Nachrichtenagenturen. Es ist erstaunlich, was sie an Information enthalten: «Augenzeugen berichteten, Demonstranten hätten vor dem Jokhang-Tempel Polizei- und Feuerwehrwagen angegriffen, umgestürzt und in Brand gesteckt. Feuerwehrleute und Polizisten seien verprügelt worden. Die Demonstranten hätten die chinesische Flagge auf dem Platz vor dem Tempel eingeholt und mit Füßen auf ihr herumgetrampelt. […] Mehrere Geschäfte gingen in der Altstadt um den Jokhang-Tempel in Flammen auf, wie staatliche chinesische Medien berichteten. […] Die Ausschreitungen sind der vorläufige Höhepunkt der antichinesischen Proteste, die buddhistische Mönche am Montag [10.3.2008] […] begonnen hatten.» (DPA, 14.3.2008)
«Zu den Todesopfern zählten zwei Hotelangestellte und zwei Händler. […] Ein chinesischer Händler aus Lhasa sagte AFP am Telefon, Leute hätten buddhistische Mönche gesehen, die Chinesen mit Messern angriffen. […] Xinhua berichtete unter Berufung auf Augenzeugen von ausgebrannten Autos und Motorrädern. Bei den Protesten seien außerdem Fenster zerschlagen, Geschäfte geplündert und eine Moschee niedergebrannt worden.» (AP, 15.3.2008)
«Die Opfer sind alle unschuldige Zivilisten und sie sind verbrannt», sagte der Regierungsvertreter laut Xinhua. Die Demonstranten hatten verschiedenen Berichten zufolge chinesische Geschäfte zerstört und Autos in Brand gesteckt. Amtlichen chinesischen Angaben zufolge gab es 160 Brände in Lhasa, davon 45 Großfeuer. Das Staatsfernsehen zeigte Bilder, auf denen große Gruppen von Demonstranten zu sehen waren, die Geschäfte überfielen, plünderten und in Brand steckten.» (AFP, 15.3.2008)
«In der neuen Bilanz stieg der geschätzte Sachschaden auf mehr als 244 Millionen Yuan (22 Millionen Euro). Nach diesen amtlichen Angaben sind in der tibetischen Hauptstadt 241 Polizisten verletzt worden, davon 23 schwer. Die Zahl der verletzten ‹Zivilisten› stieg auf 382. Davon seien 58 schwer verletzt. Die Unruhestifter hätten 908 Geschäfte angegriffen und geplündert, 84 Autos angezündet sowie auch in 7 Schulen, 5 Krankenhäusern und 120 Wohnungen Feuer gelegt.» (DPA, 22.3.2008)
Tibetische Exilregierung und Radio Free Asia
Doch in einem Großteil der Medien stellt sich die Situation ganz anders dar. Demnach sind es die chinesischen Sicherheitskräfte, die Tod und Verderben über die Tibeter bringen. «100 Tote und kein Ende» titelt die DuMont’sche Frankfurter Rundschau in ihrem Online-Angebot am 15.3.2008. «Das brutale Vorgehen chinesischer Truppen gegen Mönche und Demonstranten in Tibet forderte nach chinesischen Angaben zehn, nach tibetischen Angaben aber schon mehr als 100 Tote.» Diese Darstellung finden wir am 16.3.2008 im DuMont-Blatt ‹Express›. «Das ist Verrat an Olympia! – Weltweite Bestürzung nach blutigen Unruhen in Lhasa mit bis zu 100 Toten». Das lesen wir im Springer-Blatt ‹Bild am Sonntag› am 16.3.2008. «Umbarmherzig hat Peking die Unruhen in Tibet niedergeschlagen. Es gab Dutzende, wenn nicht Hunderte Tote, über tausend Menschen wurden inhaftiert.» Das lesen wir am 20.3.2008 im Newsletter der ‹Gesellschaft für bedrohte Völker›. Und am 23.3.2008 lesen wir auf der Titelseite des ‹Express›: «Stoppt China! – Nach blutigen Militär-Einsätzen in Tibet fordert EU-Präsident den Olympia-Boykott – Die Attacken werden immer heftiger: Schon 99 Tibeter kamen bei den Unruhen ums Leben.» Ohne moralische Bedenken wird mit Opfern und Tätern jongliert. Todesopfer unter der chinesischen Bevölkerung werden China angelastet.
Das Material für diese Darstellung liefern die tibetische Exilregierung und der von der US-Regierung finanzierte Sender ‹Radio Free Asia›. Dazu zwei Beispiele: «Die tibetische Exilregierung hat ihre Angaben zur Zahl der Todesopfer bei Chinas gewaltsamen Vorgehen gegen die Proteste in Tibet auf rund 130 erhöht. In ganz Tibet seien bislang etwa 130 Todesfälle im Zuge der gewaltsamen Zusammenstöße bestätigt worden, sagte der Chef der tibetischen Exilregierung, Samdhong Rinpoche, am Montag in deren Sitz im nordindischen Dharamsala. Zuletzt hatte seine Regierung von 99 Toten gesprochen.» (AFP am 24.3.2008) «Der US-Sender Radio Free Asia zitierte Tibeter, wonach bis zu 80 Menschen getötet worden seien.» (Frankfurter Rundschau am 15.3.2008)
Aktion bei der Entfachung des olympischen Feuers
Auch die ‹taz› reiht sich ein in dieses Spiel. Am 25.3.2008 lesen wir über die olympische Zeremonie im antiken griechischen Olympia auf der Titelseite die Ausführungen des Lokalredakteurs Felix Lee: «Was für ein Auftakt: Pekings Olympia-Chef Liu Qi war bei der Entfachung des olympischen Feuers mit seiner Rede noch nicht am Ende, da schafften es Aktivisten von Reporter ohne Grenzen trotz großer Sicherheitsvorkehrungen auf die Bühne. Einem von ihnen gelang es gar, ein Spruchband mit der Aufschrift ‹Boykottiert das Land, das die Menschenrechte mit Füßen tritt› zu entrollen. Die Fackel brannte, und der Lauf vom griechischen Olympia nach Peking konnte beginnen – und mit ihm hoffentlich auch ein langer und quälender Spießrutenlauf für die chinesische Regierung.» Und weiter lesen wir in der ‹taz›: «Drei Männer versuchten, sich der Tribüne zu nähern, auf der der Chef des chinesischen Olympischen Komitees, Liu Qi, sprach. Sie trugen eine Fahne, auf der Handsschellen zu sehen waren, gruppiert zum Symbol der Olympischen Ringe.»
Bereits am 18.3.2008 hatte ‹Reporter ohne Grenzen› über den OTS-Service (Originaltextservice – Dienst der dpa-Tochter ’news aktuell GmbH›) eine Meldung in die Agentursysteme eingespeist. «Berlin (ots) – Reporter ohne Grenzen (ROG) verurteilt das Vorgehen der chinesischen Behörden gegen eine freie Berichterstattung aus Tibet auf das Schärfste», war diese bezahlte Pressemitteilung eingeleitet und fand Eingang in die Berichterstattung der Medien.
Wie sich Reporter ohne Grenzen finanzieren
Das Auftreten von ‹Reporter ohne Grenzen› ist Anlaß für einen kurzen Exkurs zu der Frage, um was für eine Organisation es sich dabei handelt. Elke Groß und Ekkehard Sieker sind dem im vergangenen Jahr nachgegangen:
«Eine [der] Vorfeld-Organisationen US-amerikanischer Außenpolitik, von denen auch Reporter ohne Grenzen Gelder erhalten hat, ist das National Endowment for Democracy (NED). Diese unter Präsident Reagan im Jahr 1983 gegründete US-Einrichtung ist international tätig und wird zu über 90 Prozent aus dem Staatshaushalt der USA finanziert […] NED-Gründer, Allen Weinstein […] 1991 zur Arbeitsweise des NED und ähnlicher Organisationen […]: ‹Vieles von dem, was wir heute machen, wurde vor 25 Jahren von der CIA insgeheim erledigt.›
Laut aktuellem Rechenschaftsbericht der RoG zählt unter anderem auch das Center for a Free Cuba (CFC) aus den USA zu den Geldgebern der Pariser Menschenrechtsverfechter. Das CFC gehört wiederum zu jenem Netz US-amerikanischer Organisationen, deren vordringliches Ziel darin besteht, die kubanische Regierung zu stürzen.
Zu den finanziellen Gönnern der Reporter ohne Grenzen gehört auch der […] US-Multimilliardär George Soros […]. Kaum jemand weiß, daß George Soros eine wichtige Rolle bei den politischen Prozessen in Osteuropa gespielt hat, die zum Zusammenbruch des Sozialismus führten. Schon seit 1979 unterstützte [er] osteuropäische Dissidenten […], darunter die Gewerkschaft Solidarnosc in Polen, die Bürgerrechtsbewegung Charta 77 in der Tschechoslowakei und den Dissidenten Andrej Sacharow in der Sowjetunion. […] Von der internationalen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt engagierte sich Soros in den 1990er Jahren ebenso für die Destabilisierung der jugoslawischen Regierung, wie für die Unterstützung der gegen Serbien gerichteten politischen Interessen im Kosovo.
Aus der PR-Branche [steht] kein Geringerer in den Diensten von Reporter ohne Grenzen als die bekannte New Yorker Werbeagentur Saatchi & Saatchi. Diese Agentur gehört zum Werbeimperium der Publicis S.A. Group, einem multinationalen Konzern mit Hauptsitz in Frankreich. Zur üblichen Kundschaft dieses Werberiesens zählen Weltkonzerne wie Coca Cola, Disney, McDonald’s und Toyota. […] Für Reporter ohne Grenzen arbeitet Saatchi & Saatchi angeblich ohne Bezahlung. […] [RoG] in ihrem letzten Rechenschaftsbericht […]: ‹Das Team der Agentur Saatchi & Saatchi entwickelt und realisiert alle Kommunikationskampagnen der Reporter ohne Grenzen.› […] Publicis S.A. Group, zu dem Saatchi & Saatchi gehört, [verzeichnet] Kunden, die eng mit den außenpolitischen Interessen der USA verflochten sind, wie etwa der Bacardi-Konzern und nicht zuletzt die US-Armee.»
Pogrom gegen Chinesen ignorieren?
Eine treffende Einschätzung in Sachen Tibet liefert der israelische Autor, langjährige Knesset-Abgeordnete und Friedensaktivist bei Gush Shalom, Uri Avnery. Er schreibt am 5.4.2008, es sei kein Zufall, «dass die Unruhen in Tibet am Vorabend der Olympischen Spiele stattfinden. Das ist in Ordnung. Ein für seine Freiheit kämpfendes Volk hat das Recht, jede Gelegenheit zu nutzen, die sich ergibt, um seinen Kampf zu fördern. Ich unterstütze die Tibeter, obwohl mir bewusst ist, dass die Amerikaner diesen Kampf für ihre eigenen Zwecke ausnützen. Klar, die CIA hat den Aufstand geplant und organisiert, und die amerikanischen Medien führen die weltweite Kampagne. Sie ist ein Teil des verborgenen Kampfes zwischen den USA, der herrschenden Supermacht, und China, der aufstrebenden Supermacht – eine neue Version des ‹Großen Spiels›, das im 19. Jahrhundert in Zentralasien zwischen Großbritannien und Russland gespielt wurde. Tibet ist nur eine Karte in diesem Spiel. Ich bin sogar bereit, die Tatsache zu ignorieren, dass die sanften Tibeter ein mörderisches Pogrom gegen unschuldige Chinesen ausführten, Frauen und Männer töteten und Häuser und Läden anzündeten. Solche abscheulichen Exzesse geschehen während eines Befreiungskampfes. Nein, was mich wirklich stört, ist die Heuchelei der Weltmedien. Sie stürmen und brausen über Tibet. In Tausenden von Kommentaren und Talkshows häufen sie Verfluchungen und Beschimpfungen über das bösartige China. Es sieht so aus, als seien die Tibeter das einzige Volk auf Erden, dem das Recht auf Unabhängigkeit mit brutaler Gewalt verweigert wird – wenn nur Peking seine schmutzigen Hände von den safrangelben Gewändern der Mönche wegnähme, dann wäre in dieser Welt alles in Ordnung.»
Man stelle sich nur einen Moment vor: was wäre los, wenn Indianer aus ihren Reservaten ausgebrochen wären und Geschäfte und Häuser in New York angezündet hätten, oder – gar nicht auszudenken – wenn dies Palästinenser in Jerusalem getan hätten, und wie uns das vermittelt würde. Uri Avnery: «Die Weltmedien weinen wohl Tränen um das tibetische Volk, dessen Land von den chinesischen Siedlern weggenommen wurde. Aber wer kümmert sich schon um die Palästinenser, deren Land von unsern Siedlern weggenommen wird?»
Zum Abschluß sei erinnert an das Planspiel des US-Sicherheitsstrategen Zbigniew Brzezinski, ‹The Grand Chessboard – Das große Schachbrett›, zu dem er ausführt: «Eurasien ist mithin das Schachbrett, auf dem der Kampf um globale Vorherrschaft auch in Zukunft ausgetragen wird. […] Amerika ist heute die einzige Supermacht auf der Welt, und Eurasien ist der zentrale Schauplatz. Von daher wird die Frage, wie die Macht auf dem eurasischen Kontinent verteilt wird, für die globale Vormachtstellung und das historische Vermächtnis Amerikas von entscheidender Bedeutung sein.» Das Aktionsfeld Tibet ist – daran dürfte kein Zweifel bestehen – ein Feld des großen Schachbretts. Und es ist die Rolle der PR-Kampagnen und der Medien, das nicht deutlich werden zu lassen.
Gerhard Wisnewski
c/o Kopp Verlag, Bertha-Benz-Str.
72108 Rottenburg a.N.