Von Gerhard Wisnewski
Klar wie Kloßbrühe: Die Äußerungen des ehemaligen RAF-Terroristen Klar sind ein Skandal. Moment: welche Äußerungen? Na, die mit der «Niederlage des Kapitals» und den «Massen», natürlich. Puh, klingt ja schlimm. Ist es auch, meinen unsere Medien und Politiker: «Ex-Terrorist Klar kämpft weiter gegen das Kapital», hat beispielsweise die Augsburger Allgemeine verstanden. «Wer Gnade vor Recht erbittet, aber unsere Grundordnung nicht anerkennt, hat keine Gnade verdient», schimpfte FDP-Chef-Westerwelle. «Herr Klar ist ganz offenbar politisch verwirrt», meint Dieter Wiefelspütz von der SPD. Der Grünen-Rechtsexperte Jerzy Montag bezeichnete Klars Äußerungen als «Unsinn in Potenz». Und der bayerische Einpeitscher Günter Beckstein warnte, der «aggressive Ton» und die «ideologische Verbohrtheit» von Klars Grußbotschaft an die Rosa-Luxemburg-Konferenz machten «deutlich, dass es sich um einen unverbesserlichen terroristischen Verbrecher handelt.»
Weia: Ist in Christian Klar tatsächlich sowas wie der unverbesserliche Käpt’n Ahab der «RAF» auferstanden, um demnächst wie der schießende Gottseibeiuns über uns zu kommen? Nicht doch. Legen Sie sich wieder hin. Wie so oft hetzen die Polit-Pharisäer im Vertrauen darauf, daß niemand den wirklichen Wortlaut eines Textes kennt.
Aber zuvor noch zwei wichtige Fragen:
Erstens: warum regt sich jemand ausgerechnet jetzt über eine Grußbotschaft auf, die bereits eineinhalb Monate alt ist? Verfaßt wurde sie nämlich anläßlich einer «Rosa-Luxemburg-Konferenz» am 13. Januar in Berlin.
Zweitens: wie kommt ausgerechnet Knasti Christian Klar auf die Idee, sich an die aus ihrer Perspektive durchaus hochkarätig besetzte Konferenz mit einem mickrigen Text voll linker Allgemeinplätze heranzuschmeißen und die Angesprochenen als «Liebe Freunde» zu bezeichnen? Was könnte der Sinn dieser Aktion gewesen sein, wenn nicht den Eindruck zu erwecken, die Konferenz habe irgendetwas mit der «RAF» zu tun?
Wenn man das Schreiben liest, stellt man darüberhinaus fest: Politiker interpretieren nicht nur etwas in einen Text hinein, sondern erfinden auch gleich frisch drauflos, wenn es darum geht, ein ihnen unangenehmes Vorhaben zu vereiteln. In diesem Fall die Begnadigung des Ex-«RAF»-Mannes Christian Klar. Von unserer Grundordnung zum Beispiel, wie von Westerwelle nahegelegt, steht in dem Text rein gar nichts drin. Und von ihrer Nichtanerkennung schon gar nicht. Daß Klar weiter «gegen das Kapital» kämpfen will, wie die Augsburger Allgemeine schreibt, steht in dem Text auch nicht drin – so ist das eben mit der Stillen Post. Das Kapital selbst greift der ehemalige, angebliche «RAF»-Hardliner erstaunlicherweise gar nicht an, vielmehr redet er nur von den «Plänen des Kapitals» – gemeint sind wohl die Kriege gegen den Irak und den Iran, darf man vermuten.
Kurz und gut: Zieht man die verschnarchte und im Gefängnis porös gewordene Revolutionärs-Prosa ab, kommen lediglich linke Platitüden heraus. Für eine Rosa-Luxemburg-Konferenz nicht unbedingt eine dringend notwendige Bereicherung. Übersetzung gefällig? Bitte sehr:
Lesen Sie selbst:
Liebe Freunde, das Thema der diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz «Das geht anders» bedeutet – so verstehe ich es – vor allem die Würdigung der Inspiration, die seit einiger Zeit von verschiedenen Ländern Lateinamerikas ausgeht. Dort wird nach zwei Jahrzehnten sozial vernichtender Rezepte der internationalen Besitzerklasse endlich den Rechten der Massen wieder Geltung gegeben und darüber hinaus an einer Perspektive gearbeitet.
Aber wie sieht das in Europa aus? Von hier aus rollt weiter dieses imperiale Bündnis, das sich ermächtigt, jedes Land der Erde, das sich seiner Zurichtung für die aktuelle Neuverteilung der Profite widersetzt, aus dem Himmel herab zu züchtigen und seine ganze gesellschaftliche Daseinsform in einen Trümmerhaufen zu verwandeln. Die propagandistische Vorarbeit leisten dabei Regierungen und große professionelle PR-Agenturen, die Ideologien verbreiten, mit denen alles verherrlicht wird, was den Menschen darauf reduziert, benutzt zu werden.
Trotzdem gilt hier ebenso: «Das geht anders». Wo sollte sonst die Kraft zu kämpfen herkommen? Die spezielle Sache dürfte sein, dass die in Europa ökonomisch gerade abstürzenden großen Gesellschaftsbereiche den chauvinistischen «Rettern» entrissen werden. Sonst wird es nicht möglich sein, die Niederlage der Pläne des Kapitals zu vollenden und die Tür für eine andere Zukunft aufzumachen.
Es muss immer wieder betont werden: Schließlich ist die Welt geschichtlich reif dafür, dass die zukünftigen Neugeborenen in ein Leben treten können, das die volle Förderung aller ihrer menschlichen Potentiale bereithalten kann und die Gespenster der Entfremdung von des Menschen gesellschaftlicher Bestimmung vertrieben sind.
Quelle: «Junge Welt» vom 15. Januar 2007
Gerhard Wisnewski
c/o Kopp Verlag, Bertha-Benz-Str.
72108 Rottenburg a.N.