Fast hätte ich’s vergessen: Auch vom Meer aus versuchten wir, dem Bilderberger-Hotel zu Leibe zu rücken. Mit einer Zehn-Meter-Yacht machten wir uns auf den Weg von Athen nach Vouliagmeni, um wenigstens einen Schnappschuss von Rockefeller in der Badehose zu bekommen. Hier der Bericht von einer Bootsfahrt in die seltsame Welt der Bilderberger …
Um zehn scheint in Vouliagmeni bereits eine sehr warme Sonne vom Himmel; während Salam aus Deutschland, Bernie und Peter aus den USA und ich auf ein Taxi warten, lasse ich den Plan, mir hier demnächst ein ruhiges Domizil zum Schreiben zu mieten, schleunigst fallen. Denn jetzt ist es erst Mitte Mai. Im Juni, Juli und August wird es in Athen und Umgebung schlicht unerträglich.
Wir nennen die Taxis hier »Cab«, und tatsächlich sind sie genauso knallgelb wie in New York. Wir steigen ein und fahren los. Unser Ziel: Irgendein »Marina« (Yachthafen) in Richtung Athen, wo wir ein Boot mieten können, um den Bilderberger-Hotel-Bunker von See aus unter die Lupe zu nehmen, vielleicht auch das eine oder andere Foto von den Mächtigen zu knipsen. Denn der Hotelkomplex der Bilderberger liegt zum Meer hin abfallend am Westhang der Halbinsel von Vouliagmeni, ist also nur von See aus einzusehen.

Das Hotel Nafsik Astir Palace liegt am Westhang der kleinen Halbinsel von Vouliagmeni und ist nur vom Meer aus einzusehen. Foto: Google
Doch je länger wir mit dem Taxi durch die Mastenwälder der Yachthäfen kreuzen, umso schwieriger gestaltet sich das Vorhaben. Schnittige Motoryachten sind ab 1.200 Euro pro Tag zu haben, aber so viel wollen wir nun doch nicht in einen Schnappschuss von David Rockefeller in der Badehose investieren. Nach etwa zwei Stunden Irrfahrt treffen wir weit oben bei Piräus, in einem der größten Yachthafen Griechenlands, auf Antonis. Er sitzt auf ein paar Sperrmüllmöbeln unter einem zerfledderten Sonnenschirm am Wasser. Auf den ersten Blick wirkt er in seinen zerschlissenen Klamotten nicht vertrauenerweckend. Sein langes, gelblich-graues Haar hat er hinten zu einem Zopf geknotet, oben drauf sitzt eine Schirmmütze. Über den dicken Bauch spannt sich ein zu kleines rotes T-Shirt. Da Peter ursprünglich aus Griechenland stammt, übernimmt er die Verhandlungen. Nach etwa einer halben Stunde sind wir uns einig: 160 Euro pro Tag für das Segelboot, 140 Euro für Antonis. Denn zwar besitzt Bernie jede Menge Kapitänspatente, trotzdem müsste er sich mit dem unbekannten Boot in der unbekannten Umgebung erst einmal zurechtfinden. Antonis dagegen kann zu unserem Ziel schippern, wie andere Leute mit dem Auto zum nächsten Getränkemarkt.
In einem Supermarkt kaufen wir noch etwas Wasser, Bier, Sandwiches und Schokolade ein, dann geht es los. Die Yacht liegt mit dem Heck zum Pier. Die schmale Planke vom Pier zum Heck wird hoffentlich das gefährlichste an dem Unternehmen bleiben. Wir verstauen den Proviant im Bordkühlschrank, dann legt Antonis mit wenigen geübten Griffen ab. Ein schönes Boot: Etwa zehn Meter lang, mit Faltdächern über dem Cockpit. Besonders aber haben es mir das Rollsegel und die Rollfock angetan – so ein Ding kann man glatt alleine segeln. Aber segeln wollen wir an dem Tag natürlich gar nicht – viel zu aufwändig und schwer zu manövrieren. Stattdessen lässt Antonis nach dem Verlassen des Yachthafens den Diesel weitertuckern. Ein perfekter Tag: Der Bug plätschert leise durch das Wasser, die Yacht schaukelt nur sanft. Ich frage mich wirklich, was ich hier mache. Ständig drohen sich das nur leicht gekräuselte blaue Meer, die Sonne und die Yacht meiner zu bemächtigen und meine Arbeitsmotivation zu untergraben. Mehrmals kämpfe ich dagegen an, die Kamera wegzulegen und es mir an Deck einfach bequem zu machen.
Doch wir haben ja etwas vor. Antonis tuckert schnurstracks nach Süden am Festland entlang Richtung Vouliagmeni, also dieselbe Route, die wir an Land mit dem Taxi nach Athen »hochgefahren« sind. Nach etwa einer dreiviertel Stunde Fahrt, etwa zwei bis drei Seemeilen von unserem Ziel entfernt, bekommen wir den ersten dezenten Hinweis. Wie aus dem Nichts fährt plötzlich ein Marine-Schlauchboot neben uns her. Diese Bote sind sehr schnell, und aufgrund der eigenen Fahrgeräusche hört man sie kaum kommen. Die dunkel gekleidete Besatzung redet gestenreich auf Antonis ein.

Ein freundlicher Fingerzeig von der griechischen Marine: hier geht’s nicht weiter. Foto: Wisnewski
Anschließend lässt sich das Boot zu unserem Heck abfallen und jagt zu einem weiteren Segelboot davon. Da man ja nicht bei jedem Behördenwink schon spuren muss, schippern wir einfach Richtung Vouliagmeni und Nafsik Astir Palace weiter. Doch schon eine Viertelstunde später ahnen wir, dass aus dem Schnappschuss von Rockefeller in der Badehose wohl nichts werden könnte. Am Horizont tauchen im Dunst plötzlich bedrohliche Silhouetten auf: Kriegsschiffe. Nicht groß vielleicht, aber gegenüber einer Segelyacht doch von beeindruckender Statur. Still und scheinbar regungslos liegen die schnittigen Rümpfe wie graue Haie vor der Küste der Vouliagmeni-Halbinsel. Dahinter tafeln Josef Ackermann, Roland Koch und Siemens-Vorstandschef Peter Löscher mit 125 Finanz- und Industrie-Kapitänen aus ganz Europa und vor allem aus den USA. Und auch die Geheimdienste sitzen mit am Tisch. Mit dabei: Keith D. Alexander, Direktor der amerikanischen National Security Agency (NSA), des mächtigsten Geheimdienstes der Welt.
Durch unsere Zooms erkennen wir regungslose Gestalten auf der Brücke des grauen Marineschiffes. Dass auch sie uns im Auge haben, ist wohl keine Frage. Und tatsächlich: Während die grauen Rümpfe langsam näherrücken, kriegen wir erneut Besuch von »unserem Schlauchboot«. Mit diesmal deutlichem Drohgehabe rast es auf uns zu, um uns zu umkreisen. Zwischen der Besatzung und Antonis gibt es einen lauten Wortwechsel auf griechisch. Dann verschwindet das Boot wieder. Antonis grummelt irgendetwas, dass wir hier nicht weiterdürfen. Aber sein Kurswechsel scheint die Wächter der Bilderberger nicht zu befriedigen. Mit lauten Hornsignalen kommt als nächstes ein größeres Schnellboot der griechischen Küstenwache auf uns zugerast. Das große Boot neben unserer Yacht macht schon etwas mehr Eindruck. »No Kameras!«, schallt es gleich herüber. Diesmal scheint es ernst zu werden. Sofort verschwinde ich mit der Kamera unter Deck, nehme die Speicherkarte heraus und lasse die winzige »Tablette« irgendwo verschwinden. Die Bilder zu retten, hat für mich erste Priorität, eine Einstellung, die sich angesichts der bevorstehenden Festnahmen der nächsten Tage noch als durchaus adäquat erweisen sollte.

Marine und Küstenwache vor dem »Bilderberger-Wohnsitz«. Foto: Wisnewski
Wenn wir keine Festnahme und Antonis keine gesalzene Strafe riskieren wollen, gibt es diesmal keine Alternative zum Abdrehen. Wir geben auf. Dem Bilderberger-Hotel konnten wir uns höchstens auf zwei Meilen Entfernung nähern. Antonis schippert uns zum Ausspannen in die Bucht einer nahegelegenen ehemaligen griechischen Gefängnisinsel, die heute nur noch von Möwen bewohnt wird. Dort gehen wir vor Anker und genehmigen uns erst mal ein Bier, noch etwas schockiert von dem martialischen Aufgebot. Wir sind uns einig: Für einen Gipfel, den es eigentlich gar nicht gibt, werden hier doch beträchtliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen.
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Gerhard Wisnewski
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