Wer einmal eine Reise tut, der hat was zu erzählen. Zum Beispiel bei einer Reise zum Geheimtreffen der Bilderberger. Statt Pressezentrum wie beim G8-Gipfel hagelt es da Festnahmen, statt freier Berichterstattung wimmelt es von Spitzeln und Zivilbeamten, die Passanten am Wegesrand auflauern, um sie in Ad-hoc-Verhöre zu verstricken.
17. Mai 2009. Heute wollen wir das Oceanis in Vouliagmeni mal so richtig genießen: Die herrliche Terrasse über dem Meer, den kühlen Seewind und das ausgezeichnete Essen. Die Bilderberg-Konferenz nähert sich ihrem Ende – Schluss mit der Jagd auf schwarze Limousinen und dem Versteckspiel vor der Polizei. Gerade hatte ich einen Lachs auf Spinatbett und ein Bier zu mir genommen, als meine beiden deutschen Bloggerfreunde Sam und Christoph Richtung Hotel aufbrachen. Ich dagegen beschloss, mir noch ein Bierchen zu genehmigen. Gesagt, getan. Doch bekanntlich soll man den Tag nicht vor dem Abend loben. Plötzlich klingelte das Handy. Mein rumänischer Journalistenfreund Paul Dorneanu war dran. Er sei gerade ins Hotel zurückgekehrt, nachdem er mit allen anderen Journalisten von der Polizei festgenommen und verhört worden sei, sagte er. Ich solle gleich kommen.
Ich war schlagartig nüchtern und versprach, gleich da zu sein. Ich zahlte und verließ die Terrasse über den Ausgang zur Straße. Gerade wollte ich Kurs auf die Kreuzung zum Hotel nehmen, als ich noch nüchterner wurde. Von Ferne sah ich dort zwei Polizeibeamte mit dem Finger auf mich zeigen. Zumindest Teilen der Polizei sind wir persönlich bestens bekannt. Gestern war ich selber in der Polizeistation, um nach einem dort festgehaltenen Iren zu sehen. Zum Glück hat die Oceanis-Terrasse zwei Ein- bzw. Ausgänge, sodass ich gleich im nächsten wieder verschwand. Dann schaltete ich mein Handy aus und verschanzte mich erst einmal 20 Minuten auf der Toilette. Als sich nichts rührte, verließ ich das Oceanis durch den Gebäudeausgang, vorbei an einem schwarz gekleideten Bereitschaftspolizisten, der nicht auf mich reagierte.

»Stop! No Writing!« An der Kreuzung vor dem Bilderberger-Hotel wimmelt es vor Polizei.
Der Weg hinunter zur Kreuzung kam nicht in Frage. Dort befand sich ein wichtiger Brennpunkt, dort waren heute auch die Kollegen festgenommen worden. Da erblickte ich auf der anderen Straßenseite vor mir eine steile Steintreppe, die auf jenen Hügel führte, hinter dem unser Hotel Plaza Vouliagmeni lag. Es müsste doch möglich sein, das Hotel auch auf diesem Weg zu erreichen, ohne an dem Polizeiauflauf an der Kreuzung vorbei zu müssen, dachte ich mir. Gesagt, getan. Also schnaufte ich die äußerst steilen Treppen hinauf. Und während ich, fast oben angekommen, auf die Stufen achtete, geriet plötzlich ein Paar weiblicher Füße in mein Blickfeld, die lässig von einem Mäuerchen am Wegesrand herunterbaumelten. Irgendwie erinnerte mich das an die Schlange Kaa aus dem Dschungelbuch, wie sie auf Mogli wartete. Kaum bei der Frau angekommen, sprach sie mich auch schon an. Hallo, meinte sie, während ich verschnaufte: woher ich denn kommen würde. Aus Deutschland, antwortete ich. Aha – Deutschland! Da hat sie zufällig auch einen Vater, Bruder, Neffen – Schlagmichtot.

Dieselbe Kreuzung: Aus solchen zivilen Lieferwagen können plötzlich Polizeibeamte quellen.
Eine griechische Frau, die ganz allein an einer einsamen Treppe auf einer Hügelkuppe wildfremde Männer anspricht? Nicht doch, dachte ich. Überdies hatte sie absolut nichts von den charmanten griechischen Weibchen an sich, die hier sonst so herumstöckelten. Vielmehr war sie ein herber sportlicher Typ – nicht hässlich, aber eben herb und ungeschminkt, mit sichtbar blond gefärbtem und zurückgekämmtem Haar.
Aha, sagte ich und fragte sie, ob sie zufällig wisse, wo die Litous Street sei, da sei nämlich mein Hotel. Oh – Litous Street! Sure: Da müsste ich nur wieder die Treppen hinunter und dann rechts, sie würde gleich mitkommen und es mir zeigen. Immer langsam – sie wollte mich also geradewegs zu ihren Kollegen eskortieren. Nein, erklärte ich scherzend in ganz normalen Touristenkategorien, ich sei ja nicht die ganze Treppe hinaufgeschnauft, um nun wieder hinunterzugehen. Ich wolle jetzt über den Hügel zum Hotel kommen. Das leuchtete ihr irgendwie ein. Währenddessen tauchte wie aus dem Nichts plötzlich ein sportlicher junger Mann auf, um sich katzenhaft neben sie zu setzen. Irgendwie artete das Schwätzchen immer mehr zum Verhör aus: Was ich denn hier machen würde und was meine »profession« wäre, stieß sie unumwunden zum Kern der Sache vor. Ob ich Journalist sei.
Die beiden Sherlock Holmes hatten ein Problem: Sie wussten nicht, wen oder was sie vor sich haben. Hätten sie das gewusst, hätte mir dasselbe gedroht wie den Kollegen. Natürlich könnten sie jedermann einfach nach seinem Ausweis fragen – auch einen Touristen, wie ich ihn in diesem Moment offenbar darstellte. Das aber gäbe neue Probleme. Der Tourist hätte sehr wahrscheinlich ebenso wenig seinen Ausweis dabei, wie einige der Journalisten. Und wenn es in Griechenland ein Gesetz gibt, das das Mitführen des Ausweises vorschreibt, wären die Beamten verpflichtet, einen normalen Touristen zur Feststellung der Identität zur Wache zu bringen. Mit allen möglichen unangenehmen Folgen: Der Tourist würde sich bei der Botschaft beschweren, sein Reisebüro anrufen, vielleicht auch im Hotel Rabatz machen, seinen Aufenthalt stornieren, und, und, und. Schließlich will man im Urlaub nicht wie ein Krimineller behandelt werden. Vor der Frage nach dem Ausweis mussten die beiden Polizisten also unbedingt wissen, ob ich wirklich Journalist bin – mit denen hatten sie es sich sowieso schon verdorben. Und außerdem wussten sie ja, dass von den großen Mainstream-Medien bis auf die Ausnahme des britischen Exzentrikers Charlie Skelton (der für den Guardian ein paar launige Artikel schrieb) garantiert kein Journalist dabei sein würde – ganz einfach, weil sie schlichtes Berichtsverbot hatten.

»Pressezentrum« im Hotel Plaza Vouliagmeni: eine belgische Journalistin, der irische »Zivilist« Richard Toibin, Paul Dorneanu aus Rumänien und sein Kollege Florian, Toibins Freundin,
Gerhard Wisnewski.
Journalist? Ich? »No«, sagte ich. No?, wiederholte sie. »No«, wiederholte auch ich. Ob ich denn etwas von der Konferenz gehört hätte, bohrte sie weiter. »What conference?«, fragte ich abwesend. Na, die Bilderberger-Konferenz, sagte sie. Bilderberger? Never heard about that, gab ich zurück: what sort of conference is this? Das wollte sie mir nun auch wieder nicht sagen, denn das ist ja bekanntlich geheim. Naja, eben die im Nafsik Astir Palace. Aha, das sei wohl das Konferenz-Hotel, vermutete ich betont ahnungslos. Yes – aber was ich denn nun beruflich machen würde, insistierte sie. »Political scientist«, sagte ich wortkarg. Aah! Political sciene und Bilderberger, diese Kombination war wie eine Hallowach-Pille für ihr Polizistengehirn. Was ich denn da machen würde in dieser political science? Ich sagte »writing«. Dieses Wort hatte dieselbe Wirkung, als würde man einer Katze eine Maus vor die Nase halten. Die Dame hatte eindeutig zu viel Zeit in Polizeisportvereinen verbracht. Sie spannte ihre Muskeln zum Sprung an. In ihren Augen sah ich ein paar Judogriffe ablaufen. Political sciene und writing – es war, als wäre dies das größte Verbrechen, was man in der Umgebung der Bilderberger begehen könnte und als würden überall auf der Straße Schilder mit dem Schriftzug »No writing!« stehen. Und natürlich »No thinking!« und »No asking!«. Über was ich denn da schreiben würde?, hielt sie sich nur mühsam auf dem Mäuerchen zurück. In ihren Augen liefen weitere Judogriffe ab. »Marxism«, wählte ich ein möglichst verschnarchtes Thema als Antwort und wandte mich zum Gehen. Sie aber klebte an mir dran wie geschmolzener Käse und zog Fäden wie ein erkaltendes Sylvesterfondue. Weitere Fragen blockte ich jedoch ab, indem ich freundlich die Hand zum Gruß erhob. Immerhin waren die beiden ja wildfremd, und warum sollte ich ihnen mein ganzes Leben erzählen? Bye, bye, sagte ich und vergaß auch nicht ein nettes »nice to meet you«! Schließlich war das ja nur ein netter Plausch am Wegesrand.
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Gerhard Wisnewski
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