Bei den griechischen Sicherheitsbehörden liegen die Nerven blank. Am Rande der Proteste in Vouliagmeni wurden erneut Reporter und private Beobachter festgenommen, Berichten zufolge Journalisten-Handys abgehört. Die Bilderberger verschanzen sich hinter einer fast unsichtbaren, aber allgegenwärtigen Sicherheitskette und machen alles um sich herum gläsern.
16. Mai. Das Polizeirevier von Vouliagmeni ist ein flaches, weißes Gebäude. Das Grundstück ist von einem grünen Metallgitterzaun umgeben, dessen Tor von einem griechischen Polizisten mit Maschinenpistole bewacht wird. Drinnen tummeln sich zwei Dutzend Streifenpolizisten, Bereitschaftpolizisten, Geheimdienstler und Security-Leute. Und unser Freund Richard Toibin aus Irland. Und genau das ist das Problem.
Richard kam aus Interesse an dem Bilderberg-Phänomen mit seiner Freundin aus Irland nach Vouliagmeni. Und nun wurde er schon zum zweiten Mal festgenommen. Und Richard kommt und kommt nicht wieder aus dem Polizeirevier heraus. Gemeinsam mit meinem Kollegen Giorgio aus Brüssel berate ich, was zu tun ist. Wir überlegen, ob ich mit dem mit seiner Kamera verbundenen Funkmikrophon am Hemdkragen in das Polizeirevier gehen soll, während er von der anderen Straßenseite aus die Kamera draufhält. Wir verwerfen die Idee jedoch; wahrscheinlich wäre es besser, »unbewaffnet« zu kommen. Die Beamten könnten sich durch den »Lauschangriff« provoziert fühlen. Also ziehe ich den Sender aus der Innentasche meines Sakkos und fummele das kleine Funkmikrophon von meinem Hemdkragen. Stattdessen hole ich meinen Presseausweis heraus und halte ihn in der rechten Hand hoch. Dann gehe ich betont langsam über die Straße und melde mich bei dem Mann mit der Maschinenpistole mit einem freundlichen »Hi« an. »Does somebody speak english?«, frage ich. Er überlegt einen Moment, dann nickt er und öffnet das quietschende Tor. Betont gelassen gehe ich das halbe Dutzend Stufen bis zur Eingangstür hinauf. Sie steht offen, denn es geht zu wie in einem Taubenschlag. Hinter der Tür blicke ich in total gestreßte Gesichter. Es ist heiß, sehr heiß. Manchen Beamten läuft der Schweiß in Strömen von der Stirn: »Is this your press ID?«, fragt mich einer. »Yes«, antworte ich, gebe ihm aber statt des Presseausweises die Hand. Lächeln ist angesagt; Kontakt aufbauen, die Leute als Menschen und vor allem als einzelne Persönlichkeiten zu behandeln, ist wichtig. Ich stelle mich ganz freundlich vor.

Das Polizeirevier ist ein Nest voller aufgeregter Wespen; dass sie stechen, kann nun wirklich niemand wollen. Langsam, den Presseausweis immer in der rechten Hand erhoben, gehe ich durch den Flur und schaue beiläufig in die Räume. Überall aufgeregt diskutierende und verschwitzte Gesichter. Sämtliche griechischen Polizeiuniformen sind hier zu besichtigen. Angefangen bei der blauen Kombination der regulären Streifenpolizei über die dunklen bis schwarzen Uniformen der Bereitschaftspolizei und der Anti-Terror-Einsatzgruppen, vergleichbar der deutschen GSG 9. Dazwischen elegant in schwarz gekleidete Sicherheitsleute mit irgendwelchen Symbolen am Hemdkragen. Wahrscheinlich Geheimdienst.
Doch geheim ist hier zur Zeit verdammt wenig, am allerwenigsten das bescheidene Kaffeekränzchen von über 100 globalen Führungsfiguren im Luxushotel Nafsik Astir Palace – angefangen bei David Rockefeller und Henry Kissinger über NATO-Generalsekretäre, Parteivorsitzende, Konzernchefs bis hin zu Medienmogulen wie Mathias Döpfner und Hubert Burda, die jedenfalls in den vergangenen Jahren dabei waren. Nur erzählen wollen sie nichts über die Konferenz. Klammheimlich stehlen sich daheim im Rampenlicht stehende Politiker davon, um drei Tage lang beim Geheimtreffen der Bilderberger im schwarzen publizistischen Loch zu verschwinden. Während Bundeskanzler und Präsidenten beim G8-Zirkus nur allzugern im Blitzlichtgewitter stehen, reisen die Mitglieder und Gäste der Bilderberger lieber mitten in der Nacht an – mit Polizeieskorte und hinter schwarzen Autoscheiben. Während beim G8-Gipfel die Zirkuspferde tagen, treffen sich beim Bilderberger-Gipfel die Zirkusdirektoren. Und wie im richtigen Zirkus auch, tagen die natürlich nicht in der öffentlichen Arena.
Die Stimmung ist nicht gut im Polizeirevier. Es ist eben so einiges schief gegangen in den letzten Tagen. Die größte Pleite und auch Kränkung bestand wohl in der handstreichartigen Aktion der Kommunistischen Partei, die einfach in Bussen an dem Polizei-Kontrollpunkt vor dem Bilderberger-Hotel vorbeifuhr und die Bilderberger vor Ort lautstark zusammenstauchte. Wie die hysterischen Reaktionen zeigten, wurden die Beamten davon kalt erwischt. Auch der Umstand, dass bei der heutigen Demonstration der griechischen Nationalisten die Straßen schon zwei KIlometer vor dem ursprünglichen Checkpoint abgesperrt wurden zeigt, dass es sich bei dem gestrigen Vorfall um ein Polizei-Versagen handelte.
Am Ende des Flurs, im letzten Zimmer rechts, finde ich Richard. Er sitzt mit dem Rücken zum Erdgeschossbalkon am Fenster. Senkrecht zu ihm steht ein Schreibtisch, um den Polizeibeamte herumwuseln. Ich grüße freundlich und sage, ich wollte nur mal nach Richard sehen. Er ist ziemlich geschockt und reibt sich ständig die Hände. Wir können kurz reden. Ich frage ihn, was los war. Er meinte, er hätte Polizeibeamte fotografiert und daraufhin hätten sie ihn festgenommen. Ich frage den Wortführer der Beamten, was gegen Richard vorliegt. Er sagt, Richard habe Beamte fotografiert, daraufhin habe man Richard kontrollieren wollen, er habe aber keinen Ausweis dabeigehabt. Deshalb habe man ihn mit auf die Wache genommen. Schließlich wisse man nicht, wer er sei. Beamte zu fotografieren sei nicht erlaubt.
Bis auf das geschockte Gesicht ist der Junge wohlauf. Ich wende mich wieder an den Wortführer der Beamten. Ich hätte vorhin bei der Demo ebenfalls Beamte fotografiert, sage ich. Das passt dem Mann in der blauen Uniform nicht. Sie würden hier nur ihre Arbeit tun, weicht er aus. Offenbar gibt es keine wirkliche Handhabe, jemanden wegen Fotografierens von Polizeibeamten festzunehmen. Ich antworte, auch ich würde hier nur meine Arbeit tun. Ja, ja, meint er und winkt ab. Dann fängt er an zu schreien: »Get out of here! Get out of here!« Ich schaue ihn an. Er ist definitiv nicht gut drauf. »I will also do my Job«, betone ich erneut mit einem Blick auf Richard. Deutlichere Drohungen sind hier derzeit eindeutig nicht hilfreich. »Take care«, sage ich zu Richard. Dann verlasse ich das Zimmer und gehe ebenso langsam zurück zum Ausgang wie ich gekommen bin.

Auf der anderen Straßenseite warten schon die Kollegen. So gut es eben ging, haben sie von draußen mitgefilmt.
Wenig später ist Richards Freundin auch mit seinem Ausweis da. Kurz darauf ist er frei. Allerdings hat er seinen Schock weg. Er habe gehört, wie die Beamten griechische »Insassen« des Polizeireviers in die Mangel genommen und angeschrieen hätten. Dabei sei immer wieder das Wort »Bilderberger« gefallen. Währenddessen seien unsere Handygepräche die ganze Zeit glasklar aus irgendwelchen Lautsprechern gedrungen. Die Polizei habe offenbar den ganzen Tag unsere Handykonversationen mitgehört.
Die Demo der Nationalisten ist vorüber; wir gehen unbehelligt zum Hotel zurück. Jedenfalls scheinbar. Von der metergenauen Ortung der Handys über das Mitschneiden jedes Telefongesprächs bis hin zu jeder SMS ist schließlich alles möglich.

Gerhard Wisnewski und der rumänische Fotograf Paul Dorneanu.
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Gerhard Wisnewski
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