Familienministerin Ursula von der Leyen möchte Kinderporno-Seiten im Internet mithilfe einer Sperrliste blockieren. So weit, so gut. Aber gibt es auf dem World Wide Web überhaupt so viele Kinderporno-Seiten? Und stolpert man wirklich an jeder Ecke über sie? Gerhard Wisnewski wollte es genauer wissen und machte eine Probe aufs Exempel …
Glaubt man der Bundesfamilienministerin, bedroht ein Springflut von Kinderpornos den Internetnutzer. Und schädigt natürlich auch die missbrauchten Kinder – denn ohne Nachfrage auch kein Missbrauch. Moment: Sagte ich »Internet«? Nun, da muss man natürlich ein wenig differenzieren. Denn die sogenannte BKA-Sperrliste gilt allein für das World Wide Web, also das WWW. Das ist so was wie der oberste Ladentisch des Internets; so eine Art Internet für Dummies und jener bequeme Teil des Netzes, wo man halbwegs verständliche Adressen eintippen (zum Beispiel bundesregierung.de) und dann auf der entsprechenden Seite landen kann. Da aber die Internet-Server nicht auf eine schön verständliche Adresse, sondern auf eine komplizierte Nummer (IP-Adresse) hören, wird die WWW-Adresse von sogenannten DNS-Servern erst einmal in die Nummer der jeweiligen Seite übersetzt. Dann erst landet man auf der gewünschten Seite. Die Sperrliste greift allein auf WWW-Ebene ein; schon wenn man die IP-Adresse der gewünschten Seite kennt, ist man fein raus. Dann tippt man sie nämlich in die Adressenfenster des Browsers ein und landet genau da, wo man hin will. Sprich: Die Maßnahme richtet sich also gegen den »dummen« Massenverkehr und nicht gegen gewieftere Surfer, die sich mit IP-Adressen auskennen oder ihre Kinderpornos in Usenet, Newsgroups, Tauschbörsen und E-Mail-Verteilern suchen. Die bleiben davon nämlich unberührt.
Aber vielleicht findet man ja auch auf dem WWW Kinderpornos? Also machte ich mich am 17. April 2009 mal selber auf die Schmuddel-Suche. Ich gebe mir eine halbe Stunde und benutze die Suchinstrumente, die auch die große Mehrzahl der Bevölkerung benutzt, nämlich Suchmaschinen. Und was, so fragte ich mich, würde ein finsterer Pädophiler wohl eintippen? Beginnen wir bei der Google-Bildsuche, und zwar ganz einfach mit dem Wort »nackte Kinder«. Ein mühsames Geschäft. Als erstes stoße ich auf ein Gemälde mit dem Titel »Drei nackte Kinder«. Kaum will ich die Seite anklicken, geht in meinem Firefox-Browser ein Warnfenster auf: »Potientielles Clickjacking/UI Redressing Versuch«. Nun: Dressing ist gut, allerdings suchte ich mehr nach undressing. »NoScript wehrt eine Maus- oder Tastatur-Eingabe mit einem teilweise versteckten Element ab. Klick auf das Bild oberhalb, um zwischen der verdeckten und der klaren Version zu unterscheiden.« »Das sogenannte Clickjacking«, informiert mich ein Internetlexikon, »ist eine völlig neue Form der Internetkriminalität. Der Begriff ist abgeleitet von den beiden englischen Begriffen Mouseclick (Mausklick) und Hijacking (Entführung). Dabei leiten Internetkriminelle die Mausklicks der Nutzer auf manipulierten Seiten um.«

Auweia. Bei meiner Suche nach den nackten Kindern wollte also jemand meinen Rechner kidnappen. Also lieber wieder zurück auf die Google-Ergebnis-Seite. Das nächste ist ein verschwommenes Urlaubsbild eines unbekleideten braungebrannten Mannes mit Kleinkind. Anschließend lande ich auf einer Kunstseite mit verfremdeten und undeutlichen Kinderakten ohne jede Erotik. Urlaubs- und Afrika-Bilder wechseln sich ab mit nichtpornographischen Grafiken, Zeichnungen und Gemälden und einem Bild der besorgten Ursula von der Leyen – glücklicherweise angezogen. Ein bisschen treffsicherer wird es bei der englischen Suche »naked childs«, aber alles in allem sind die Bilder – wenn überhaupt – nur sehr verschämt und verklausuliert erotisch. Egal, wie tief ich mich in die Suchergebnisse reinklicke – Kinderporno, Fehlanzeige. »Kinderporno«! Auf diesen Begriff hätte ich auch gleich kommen können. Such-Ergebnis: Pornobilder keine, sondern vor allem Seiten gegen Kinderpornographie. Und immer wieder das Konterfei von Frau von der Leyen. In der englischen Variante (»child pornography«) dasselbe Ergebnis – nur ohne Frau von der Leyen.
Nun ist aber Fantasie gefragt: Klar, dass der Kinderpornograph nicht Klartext redet. Wie könnte der Pädophile die Opfer seiner obskuren Begierde sonst noch nennen? Verzweifelt krame ich in meinem auf diesem Gebiet zugegeben beschränkten Wortschatz. »Lolita« – das ist es! Das Synonym für alle »Frühreifchen«. Na also, geht doch: »frühreif« ist ja auch nicht schlecht. Aber bitte ersparen Sie mir die Beschreibung der Ergebnisse: Nicht, weil sie so furchtbar, sondern weil sie so furchtbar langweilig sind. Dasselbe gilt für das englische »precocious« (frühreif). Etwas größer ist der Erfolg mit dem englischen Wort »chicks« (Küken), aber mehr als ein paar spärlich bekleidete Teenies ist auch damit nicht drin. Von jeder Menge echter Küken mal ganz abgesehen. Auch mit »naked chicks« wird es nicht wirklich »besser«.
Wie wär’s also mit dem »f-Wort«? Zusammen mit »Kinder« ergibt das bei der Google-Bildsuche nichts, bei der normalen Websuche einige Videotreffer auf dem Download-Portal Download Monster. Zum Beispiel eine 1,1-MB-Datei mit dem Titel. Auch unter dem Stichwort »Kinder Porno« gibt es dort einige Fundstellen von Videos. Nicht faul, klicke ich bei einem auf »download«. Sogar eine Liste mit Download-Sites bekomme ich noch zu sehen. Doch als ich dort erneut auf »download« klicke, merke ich, dass die Sache für einen Kinderporno-Fan doch einen gewaltigen Haken hat: Man muss sich nämlich registrieren: »Creating an account is free, easy and only takes seconds«.
Nein danke. Erst klickt die Maus, dann die Handschellen: Sobald ich nach der Registrierung auf den Download-Link eines Kinderpornos klicke, entsteht eine Straftat. Vielleicht käme ich mit dem anonymen Browser sogar unerkannt davon, aber wissen kann man das letztlich nicht. Alles ist schließlich eine Frage des Ermittlungsaufwandes. Der Browser mag den Aufwand erhöhen, ob er eine Identifizierung wirklich ausschließt, würde ich nicht beschwören. Was dort zu sehen ist, kann ich Ihnen also nicht sagen, weil das Herunterladen strafbar sein könnte. Es könnte sich auch um ein Lockvogel-Angebot der Polizei handeln, die auf diesem Wege Verdächtige generiert, bei denen sie demnächst die Wohnung auf den Kopf stellen kann. Denn von einer Straftat ist man im Netz immer nur einen Klick entfernt. Die benötigte kriminelle Energie ist minimal. Und hat man keine Straftäter, kann man sich auf diese Weise leicht welche schaffen. In jedem Fall sind diese Videos so einfach zu finden, als würde ein Kinderpornoheft offen am Kiosk herumliegen – schon deshalb sollte man nicht danach greifen.
Im Übrigen: Wer kriminell handelt, wird leicht selbst Opfer von kriminellen Handlungen. Wer Kinderpornos herunterlädt, setzt sich der Gefahr aus, selbst zum Ziel von Speicherung, Ausspähung, Denunziation, Schadsoftware und anderen Angriffen zu werden. So zeigt Google bei einer englischsprachigen Fundstelle mit dem Titel »Child fuck naked« den Warnhinweis »Diese Website kann Ihren Computer beschädigen« gleich mit an: Beachten Sie, »dass beim Aufrufen dieser Websites häufig schädliche Software ohne Ihr Wissen oder Ihre Genehmigung auf Ihrem Computer installiert wird. Dies können auch Programme sein, die Daten auf Ihrem Computer löschen, persönliche Informationen wie Passwörter und Kreditkartennummern stehlen oder Ihre Suchergebnisse ändern.«
Nochmals nein danke. Denn wer wollte den Angreifer in einem derartigen Fall schon anzeigen? Nach dem Motto: »Herr Kommissar, gerade als ich ›Sex im Sandkasten‹ herunterladen wollte, wurde mein PC gekidnapped …«
Schließlich weiten sich doch noch meine Augen, meine Hände zittern, und Schweiß tritt mir auf die Stirn. Und zwar weil ich bei meiner Suche auf die Kinderporno-Sperrlisten von anderen Ländern stoße. Es ist ja nicht so, dass unsere Familienministerin selbst auf Ideen kommen würde; vielmehr fügt sie sich nur in die globale Ordnung ein. Und da haben bereits mehrere andere Länder Kinderporno-Sperrlisten eingerichtet, darunter auch Schweden. Da freut sich der Kinderpornograph – denn hat er erstmal diese Liste, müsste er natürlich das beste Verzeichnis von Kinderporno-Seiten haben, das es überhaupt gibt. Und über das Internet dürfte sich das in Windeseile verbreiten. Mit anderen Worten: Taugt das Kinderporno-Verzeichnis etwas, heißt das, dass der Staat selbst die besten Kinderporno-Kataloge zusammenstellt, die es gibt. Taugt das Verzeichnis nichts, ist es ohnehin wertlos und schadet nur dem Verkehr – dem Datenverkehr natürlich.
Und wie ist das nun mit der schwedischen Sperrliste? Kinderporno über Kinderporno: youngporn2008.com, young-gay-boy-pics.com, young-paradise.info, youngschoolgirls.info und so weiter und so fort. 1.047 Seiten listet die Tabelle auf. Beeindruckend. Wirklich? Ich mache die Probe aufs Exempel und gebe eine der Adressen in meinen Browser ein. Gleich der erste Link bei youngporn2008.com hat es mir angetan: »1. Bad bad girls fuck with me …«. Über den Link gelange ich auf eine weitere Linkliste mit angeblichem »Lolita-Sex«. Doch was tut sich auf? Statt blutjunger »Girls« bekomme ich eine Seite mit Reha-Tips für Alkoholiker zu sehen (http://pornzone.kikzone.com/pre/). Bestimmt ein Irrtum. Also wieder zurück zu »Bad Girls fuck with me …« Dort finde ich noch eine lange Linkliste mit lauter verschiedenen Titeln, zum Beispiel »girl+girl public movie«, »Asian teen pussy photos«, »Lolita undress set« und so weiter. Doch es ist vertrackt: So verschieden die Links auch sein mögen – sie weisen alle auf dieselbe Anti-Alkoholiker-Seite. Prickelnd höchstens dann, wenn es sich um Prosecco handeln sollte. Das heißt, nein: Der ist ja auch verboten. Ansonsten gibt es auf youngporn2008.com noch eine Abteilung mit der Überschrift »illegal archives«. Darunter finden sich Links mit der Extension »zip«, also anscheinend zip-Archive. Doch was soll ich sagen: Auch diese zip-Links führen nicht zum Download von bei manchem vielleicht heiß ersehnten Bildern oder Videos, sondern zu derselben Anti-Alkoholiker-Seite.

Mag sein, dass man so zahlreiche Besucher für einen guten Zweck auf seine Alkohol-Entwöhnungsseite lockt – aber um Kinderpornografie handelt es sich nun mal nicht. Gut macht sich so was auch höchstens in einer Powerpoint-Präsentation vor ahnungslosen Bundestagsabgeordneten, aber schon wenn man einzelne der Links anklickt, merkt man sehr schnell, dass es sich nur um eine bunte Kulisse handelt. Dahinter verstecken sich mal vergleichsweise gut gemeinte, mal profane Inhalte. Oder steckt etwa noch mehr dahinter? Denn es stellt sich doch die Frage: Wer baut im Internet derartige Potemkinsche Dörfer aus angeblicher Kinderpornographie auf?
Plötzlich klappt am oberen Ende von der Seite youngporn2008.com ein englischsprachiger Hinweis auf: »Die Seite, die Sie öffnen, enthält wahrscheinlich illegale Kinderpornographie. Wenn Sie diese Inhalte öffnen möchten, klicken Sie hier.« Wer das tut, ist natürlich selber schuld. Denn er wurde eindeutig darauf aufmerksam gemacht, dass es sich um eine illegale Aktivität handelt und hat trotzdem drauf geklickt. Bei so etwas könnte es sich um eine polizeiliche Provokation handeln. Und wirklich: Diesmal liegt unter dem Link dann auch zum ersten Mal nicht die Abstinenzler-Seite, sondern die Adresse http://ltraffic.cc/resource.php?id=4465&user=df321. Allerdings keine Polizeiseite, sondern die Adresse »ltraffic.cc« verweist auf eine Seite mit Marketing- und Werbeangeboten.
Eine »Honigfalle« also? Nach dem Motto: Was verboten ist, macht erst recht neugierig? Wer weiß. Dass im Internet so viele nach Kinderpornografie suchen, machen sich vielleicht alle möglichen Leute zunutze und locken die Klientel auf ganz andere Seiten. Oder aber die Seite ist ein inzwischen ausgehöhltes Internetwrack, auf dem die ursprünglichen Inhalte nicht mehr erreichbar sind. Internetnutzer, welche die schwedische Liste untersucht haben, sind zu dem Schluss gekommen, dass nur neun der 1.047 auf der schwedischen Sperrliste aufgeführten Seiten wirklich Kinderpornografie enthalten und damit eindeutig illegal sind – also weniger als ein Prozent. Zwei bis drei Prozent bestehen aus Seiten, die zumindest zu einem kleinen Teil Kinderpornographie enthalten. Neun Seiten, also ebenfalls weniger als ein Prozent, sind völlig irrelevant und haben mit Sex überhaupt nichts zu tun. Der große Rest (84 Prozent) besteht aus legaler »Teen-Erotik«, denn schließlich gibt es ja auch schon volljährige Teenager – in Deutschland ab 18.
Am Ende meiner Recherchen angekommen, bin ich jedenfalls beruhigt. Ich bin nicht etwa zu doof, Kinderpornographie-Seiten im WWW zu finden. Sondern das schafft nicht einmal der Staat in nennenswertem Umfang – jedenfalls der finnische.
Wird fortgesetzt
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Gerhard Wisnewski
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