»Das schwarze Loch der Hypo Real Estate « nannte die Website der »Tagesschau « die Deutsche Pfandbriefbank AG (DEPFA), welche die »Hypo Real Estate « vor drei Jahren gekauft habe. Die Depfa habe ein großes Rad gedreht, ein riesiges Kreditvolumen und ein undurchsichtiges Netz von Tochterfirmen aufgebaut. Das mag richtig sein. Falsch ist, dass die »Hypo Real Estate « dieses »Schwarze Loch « vor drei Jahren gekauft habe. In Wirklichkeit brachte die »Hypo Real « den Kauf erst vor genau einem Jahr, am 2. Oktober 2007, unter Dach und Fach – zwei volle Monate, nachdem die Finanzkrise in Deutschland schon zugeschlagen hatte …
Im Juli 2007 herrschte die Ruhe vor dem Sturm. Im deutschen und internationalen Bankensystem schien (fast) alles in Ordnung zu sein. Da, am 10. Juli 2007, traf ich mich in München mit einem New Yorker Banker. Bei Cappuccino und Mineralwasser fragte ich ihn ein bisschen aus, was denn so demnächst anstünde: »Die Kreditkrise «, meinte er und schilderte die Lage am Hypothekenmarkt dramatisch. Als ich das Cafè verließ, hatte ich den Eindruck, schlecht geträumt zu haben: Die Sonne schien, fröhliche Menschen liefen über die Straße, und im Finanzsystem sollte die Kernschmelze begonnen haben? Kaum zu glauben, aber immerhin waren bereits im Juni zwei Hedge-Fonds der Investmentbank Bear Stearns in Schwierigkeiten geraten. 20 Milliarden Dollar waren futsch, heute gibt es Bear Stearns nicht mehr.
Warum ich das erzähle? Ganz einfach: um zu zeigen, dass die Spatzen im Juli 2007 das Platzen der Kreditblasen längst von den Dächern pfiffen. Jedenfalls die Spatzen im Finanzsystem. Ja, mehr als das: Erste schlechte Nachrichten waren bereits an die Öffentlichkeit gekommen. Dass noch mehr in der Luft lag, spürte jeder. Aber wahrscheinlich gab es bei der Hypo Real Estate keine Spatzen – nur Spatzenhirne.
Denn am 23. Juli 2007 beruft der Vorstandsvorsitzende der Hypo-Real- Estate-Gruppe (HREG), Georg Funke, überraschend eine Pressekonferenz ein. Die Hypo Real Estate ist sozusagen das verstoßene Immobilien-Kind der Hypovereinsbank (HVB). Wie eine Eidechse ihren Schwanz hatte die Hypovereinsbank ihren gewerblichen Immobilienfinanzierungssektor bereits 2003 abgeworfen. In weiser Voraussicht? Statt der HVB wurde die HRE in den DAX aufgenommen.
»Meine Damen und Herren, es ist uns bewusst, dass wir Sie heute morgen mit unserer aktuellen Nachricht ein wenig ›überfallen‹ mussten», heißt es in Funkes Redemanuskript zur Pressekonferenz am 23. Juli 2007 ( »Es gilt das gesprochene Wort «.) »Ich denke aber, dass der Anlass die kurzfristige Einladung zu dieser Pressekonferenz voll und ganz rechtfertigt. « Der Mann hat es also eilig – aber warum? Weiß er da schon, daß ihm die Zeit bei seinem Deal davonlaufen könnte? Nur eine Woche später wird als erste deutsche Bank mit großem Hallo die Deutsche Industriebank IKB in der Kreditkrise in die Knie gehen.
Während es im Finanzsystem bereits knistert und den Bankern die Schweißperlen auf der Stirn stehen, will sich Funke kurz vor Toresschluss noch einen Berg neuer Kredite ins Haus holen. Bei der erwähnten Pressekonferenz kündigt er die Akquisition der Deutschen Pfandkreditbank AG (DEPFA) für 5,7 Milliarden Euro an, jenes Unternehmens, das ihm genau ein Jahr später um die Ohren fliegen sollte. »Die Hypo Real Estate Group und die DEPFA formen einen der weltweit führenden Anbieter von Finanzierungen für den öffentlichen Sektor, für gewerbliche Immobilien und für Infrastrukturprojekte «, lautet die Überschrift der Pressemitteilung vom 23. Juli.
Dies sei »ein großer Entwicklungsschritt für beide Häuser «, sagt Funke und zitiert sich selbst von der Hauptversammlung am 23. Mai 2007: »Wir haben die Kapitalkraft und wir haben die Umsetzungskompetenz für solche Wachstumsschritte, und niemand sollte unsere Entschlossenheit unterschätzen, zuzugreifen, wenn es strategisch sinnvoll und vor allem wirtschaftlich attraktiv ist «, prahlte er da und gibt nun, zwei Monate später, den Tatmenschen: »Diese Situation, meine Damen und Herren, ist nun eingetreten. « Der Zusammenschluss sei »ein signifikanter Vorgang für unsere Branche und nicht zuletzt ein wichtiges Signal für die Finanzplätze Deutschland und Europa. «
Das war nicht übertrieben, aber anders, als es sich das Publikum dieser Pressekonferenz vorstellte. Damit entstehe nach Bilanzsumme und Marktkapitalisierung »eine der größten deutschen
Banken «. »Vor allem aber schaffen wir Wert für die Aktionäre beider
Gesellschaften. Und das steht immer im Vordergrund. «
Wer das glaubte, wurde nicht selig, sondern arm. Die Aktien der HRE sind heute praktisch nichts mehr wert. Von 58 Euro 2006 sackte der Kurs inzwischen auf etwa vier Euro ab.
Wie gesagt, holte sich die HREG mit dem Zusammenschluss mit der DEPFA mitten im sichtbaren Aufbrechen der Kreditblase einen Berg neuer Kredite ins Haus. Diese sollten zwar eine »exzellente Qualität « haben, so Funke: Im Staatsfinanzierungsgeschäft der DEPFA hätten 37 Prozent ein Triple-A-Rating, weitere 30 Prozent kämen auf AA1 bis AA3-Ratings. In Wirklichkeit wusste man aber schon seit Jahren, wie dubios dieses Ratings waren. Die Ratingagenturen, die diese Noten vergeben, sind private und gewinnorientierte Unternehmen. Wie ihre Bewertungen zustande kommen, ist undurchsichtig. Interessenkonflikten sind Tür und Tor geöffnet. Theoretisch könnte eine Ratingagentur Unternehmen, bei denen sie selbst Interessen verfolgt, besonders hoch und damit als besonders kreditwürdig einstufen. Im Grunde ein System von lächerlicher Subjektivität und Befangenheit. Dem US-Schwindelkonzern Enron wurde noch wenige Tage vor seinem Zusammenbruch eine erstklassige Bonität bescheinigt. Das war 2001.
2007, als sich die Hypo Real Estate einen Berg neuer »Triple-A- «- und anderer Kredite ins Haus holte, hätte man von einem Vorstandsvorsitzenden erwarten können, dass er über diese Dinge Bescheid weiß. Aber selbst wenn er davon keine Ahnung gehabt hätte: Ab 1. August 2007 war die Deutsche Industriebank IKB ein für alle deutlich sichtbares Zeichen an der Wand. An diesem Tag wurde ein erster Finanzbedarf von acht Milliarden Euro bekannt. Und da war der Deal mit der DEPFA ja noch nicht unter Dach und Fach. Bis dahin sollte es noch zwei Monate dauern.
Ebenso bekannt war, dass die Probleme mit Schwierigkeiten auf dem US-Markt zu tun hatten. Während die IKB nach immer mehr Milliarden schnappte, wie ein todgeweihter Mensch nach Luft, verschlechterte die Hypo Real Estate mit dem Erwerb der DEPFA sehenden Auges ihr Kreditportfolio. Der Anteil der deutschen Finanzierungen am gesamten Finanzierungsportfolio reduzierte sich von 56 Prozent auf 34 Prozent. Die DEPFA steckte bis zum Hals im US-Kreditgeschäft.
»Offenheit, Fairness und Transparenz kennzeichnen die Unternehmenskultur der Hypo Real Estate Group «, heißt es auf der HRE-Website. Der undurchdringliche Finanzdschungel der DEPFA ließ den Bankern aber keineswegs die Haare zu Berge stehen – auch nicht im Angesicht der sich entfaltenden Kreditkrise. Ihr Kreditvolumen in der Größenordnung von 75 Milliarden Euro finanzierte die DEPFA selbst auf dem Kapitalmarkt; sollte der austrocknen, könnte es in kürzester Zeit zum Kollaps kommen. Die DEPFA unterhielt Filialen in aller Herren Länder und mischte auch bei hochkomplexen Derivate-Geschäften mit.
Aber Vorstandschef Funke sah durch den Erwerb nicht etwa eine Verschlechterung, sondern eine »Verbesserung des Risikoprofils «, »neue Wachstumschancen « und eine »Erhöhung der Profitabilität «. Man rechne mit einem »positiven Einfluss auf das Ergebnis je Aktie « und strebe für den Zeitraum 2007 bis 2010 »eine deutliche Erhöhung des Ergebnisses pro Aktie an «. 2010 wolle man »eine Eigenkapitalrentabilität nach Steuern von mehr als 15 % « erwirtschaften. »Eine klassische Win-Win-Situation für beide Banken «, meinte Funke.
Von wegen. Dass das Ganze in Wirklichkeit eine klassische Lose-Lose-Situation werden könnte, konnte jeder erkennen, der Augen hatte, zu sehen.
Der gesamte August 2007 wird von immer neuen Horrormeldungen und Finanzlöchern bei der IKB bestimmt. Die Alarmzeichen häufen sich: Neben der IKB geraten im Spätsommer 2007 auch große Landesbanken wie die WestLB und die BayernLB, aber auch die Sachsen LB wegen ihres Engagements hauptsächlich auf dem Markt amerikanischer Subprime-Kredite in Schieflage. Im September 2007 gibt es gar den ersten Banken-Run: Die Kunden der britischen Bank Northern Rock stürmen die Schalter.
Ja, selbst um die HREG und ihre bevorstehende, angeblich vorzügliche, Neuerwerbung DEPFA gibt es Spekulationen. Nur zehn Tage nach der großspurigen Ankündigung der Fusion werden die Spatzen auch im Hinblick auf die HRE aktiv. An der Börse kursieren erste Gerüchte um eine Verwicklung der HRE in die Subprime-Krise; der Börsenkurs sackt bereits um sieben Prozent ab.
Die HRE und ihr Chef Funke machen jedoch weiter, als wäre nichts gewesen.
Am 2. Oktober 2007 liegen bereits zwei Horrormonate hinter der Finanzbranche, da gibt die HRE tatsächlich den Abschluß des DEPFA-Deals bekannt.
»Zwischen Ankündigung und Abschluss des Erwerbs liegen somit gerade einmal gut zwei Monate «, freut sich Funke noch Anfang November 2007: »Dies ist eine für eine Transaktion dieser Größenordnung sehr kurze Zeit. « In der Tat – vor allem wenn man bedenkt, was für eine Zeit das war. Aber statt angesichts der sich entfaltenden Kreditmarktkrise einen Gang zurückzuschalten, behielt Funke das hohe Tempo bei.
Ja, wurden denn die Krisenmonate überhaupt nicht genutzt, um das Geschäft neu zu überdenken oder sich Rat einzuholen? Anscheinend nicht. Anscheinend redete vor allem die Hypo Real Estate: Man habe »in den vergangenen Monaten eine Vielzahl von Gesprächen « geführt, »um die bestechende strategische Logik der Zusammenführung beider Unternehmen zu vermitteln «, erklärt Funke laut Redemanuskript nach dem Zusammenschluss.
Interessant ist, dass er Anfang November 2007, so kurz nach dem Kauf der DEPFA, trotzdem bereits leise Rechtfertigungen für nötig hält: »Wir haben dabei viel Zuspruch erfahren. Niemand hat die strategischen Chancen und Vorteile dieser Transaktion ernsthaft bezweifelt. «
Immobilienfinanzierungen für Privatanleger in den USA betreibe man ja schließlich nicht. Eine blauäugige Auskunft. Denn der Kreditmarkt ist natürlich interdependent, die Banken sind interdependent, der ganze Finanzmarkt ist interdependent, und zwar so interdependent wie das Wasser in einer Badewanne, aus der jemand den Stöpsel zieht.
Den seltsam übereilten Zusammenschluss in der offensichtlichen Krise wertet HRE-Vorsitzender Funke nicht etwa als katastrophale Fehlentscheidung, sondern als Zeichen der Stärke: »Die jüngsten Entwicklungen der Immobilien- und der Finanzierungsmärkte zeigen umso klarer die Stärke und Solidität des Geschäftsmodells der Hypo Real Estate Group. «
Die Hypo Real Estate Group sei aus der Marktkrise der vergangenen Monate gestärkt hervorgegangen, meint Titanic-Kapitän Funke nach dem Kuss des Eisbergs: Die Geschäftsergebnisse des dritten Quartals zeigten, »dass in einer Zeit, in der viele Konkurrenten hart getroffen sind, die Hypo Real Estate Group beständig und unbeirrt ihren Wachstumskurs beibehält. Trotz der Spuren der Krise der letzten Wochen befindet sich die Hypo Real Estate Group voll auf Kurs für die Erreichung der Ziele des Geschäftsjahres 2007. «
Beeindruckend.
Der Rest ist Geschichte. Ende September 2008 ging erst der DEPFA und dann der Mutter der Hypo Real Estate die Luft aus. Das DEPFA-Geschäft beruhte auf einem äußerst sensiblen Gleichgewicht. Während man Milliarden verlieh, musste man sich diese Milliarden selber auf dem Markt leihen. Gibt der Markt kein Geld mehr her, bedeutet das erhebliche Schwierigkeiten. Das hohe Kreditvolumen der DEPFA ließ sich auf dem Markt nicht mehr refinanzieren. Das heißt, die DEPFA bekam selbst nicht mehr in ausreichendem Maß Kredite. Ein Bankenkonsortium stellte zusammen mit dem Bund Kreditlinien und Bürgschaften in Höhe von 35 Milliarden Euro bereit. Schon eine Woche später wurden weitere 15 Milliarden benötigt.
Nach Ansicht von Erich Samson, Wirtschaftsstrafrechtler an der Bucerius Law School, droht dem inzwischen zurückgetretenden HRE-Chef Funke die Verhaftung: »Im Prinzip muss er stündlich damit rechnen, verhaftet zu werden «, wird er in dem heutigen Handelsblatt zitiert. »Der Schaden, den er im Zweifelsfall zu verantworten hat, ist so groß, dass er eine hohe Strafe zu erwarten hätte. Das heißt, es besteht Fluchtgefahr und damit die Voraussetzung für einen Haftbefehl. «
Es stelle sich die Frage, ob Funke als Vorstand der HRE »seine Vermögensbetreuungspflicht « verletzt habe. Im Kern gehe es um die Frage: »Hat Herr Funke wie ein umsichtiger Kaufmann gehandelt oder hat er gezockt. « Sollte Funke die Lage der Bank zu optimistisch dargestellt und die wahren Zustände verschleiert haben, hätte er sich auch »gemäß Aktiengesetz strafbar gemacht «.
Ob der ehemalige HRE-Chef irgendetwas gelernt hat, ist die Frage. Den zuletzt erneut gestiegenen Geld- und Bürgschaftsbedarf der HREG führte die Bank auf Ereignisse zurück, »die nicht vom Management zu beeinflussen sind «.
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Gerhard Wisnewski
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