Nach dem von der ARD verstümmelten Putin-Interview schlugen die Wellen hoch. Am gestrigen 1. September sah sich der Interviewer Thomas Roth vom WDR genötigt, auf die Vorwürfe zu reagieren. Zensur? Nicht doch: Alles ganz normal. Außerdem werde man das am 29. August 2008 nach den »Tagesthemen« gesendete Rest-Interview doch auch noch in voller Länge ausstrahlen …
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| Un-Demokrat Putin beim
demokratischen Interview |
… und zwar am heutigen 2. September. Alles klar?
Na gut, es läuft jetzt nicht gerade im Ersten, sondern im WDR-Fernsehen, also im Dritten.
Und die Prime Time ist es höchstens für Leute, die gerade aus der Nachtschicht kommen, nämlich 6.20 Uhr.
Das heißt: Selbst für die passt es nicht, weil die eher noch später nach Hause kommen. Für’s Frühstücksfernsehen ist es wiederum einen Tick zu früh.
Das vollständige(re) Interview wird also praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit gesendet. Teufel auch, da ist einfach der Wurm drin.
Aber was wollt Ihr denn? Das alles war doch ganz normal, klagt Roth sich und die gesamte Fernsehlandschaft der gewohnheitsmäßigen Verfälschung und Verdrehung an:
»Das Interview selbst war erheblich länger, was übrigens durchaus häufig vorkommt. Fernsehen, Radio, aber auch Zeitungen stellen in einem solchen Fall eine redaktionelle Fassung her, die dann in dem vorbesprochenen Rahmen auch veröffentlicht wird. Mit Zensur hat das nicht das geringste zu tun.«
Aber: Man erkennt die Absicht und ist verstimmt. Denn das Interview war eindeutig in einen propagandistischen Zusammenhang eingebunden. Anmoderiert wurde der erste Zusammenschnitt in den Tagesthemen von dem US-Freund Tom Buhrow, der gleich mal die USA gegenüber Russland als leuchtende Demokratie hinstellte. Derartig eingestimmt wurde den Zuschauern nach den Tagesthemen nicht etwa ein gekürztes Interview vorgesetzt, wie Roth nahelegt, sondern ein entstelltes. Während sich das Kürzen normalerweise dadurch auszeichnet, dass der Charakter und die wichtigen Aussagen eines Interviews erhalten bleiben, wurden hier kritische Passagen Putins geschnitten und so der kritische Charakter von Putins Antworten entstellt.
Nichts da, meint Thomas mit den flinken Scherenhänden: Die russische Seite habe ja Kürzungen und eine zehnminütige »Zusammenfassung« genehmigt. Aber auch eine Zusammenfassung ist eine Zusammenfassung und keine entstellte Fassung.
Außerdem habe er, Roth, – großzügig, großzügig – zugelassen,
dass das Interview durch mehrere russische Sender begleitet wird und nach einer vereinbarten Sperrfrist (20:00 Uhr Ortszeit) nach eigener Entscheidung veröffentlicht werden kann. Die russischen Sender haben das in sehr unterschiedlichen Längen getan (von 5 bis zu rund 40 Minuten). Einige haben nur das aus ihrer Sicht wichtigste veröffentlicht. Verpflichtet waren sie nur zur Quellenangabe: Ein Interview der ARD, Erstes Deutsches Fernsehen. Nur zum Verständnis: Hätte die ARD Interesse daran gehabt, irgendetwas nicht zu veröffentlichen, hätten wir uns gar nicht erst auf solche Bedingungen eingelassen. Also nichts durcheinander bringen!
Bringen Sie mal lieber nichts durcheinander, Herr Roth. Denn das Russisch des deutschen Fernsehzuschauers ist in etwa so gut wie sein Chinesisch. Leider, denn mit Sicherheit wäre es interessant, gerade Sendungen aus diesen Ländern mal zu konsumieren.
Und natürlich weiß auch Herr Roth, daß es gar nicht darum geht, irgendetwas wirklich geheim zu halten. Es geht vielmehr um die Millionen Zuschauer, die die entstellte Fassung sehen. Da kann man die paar Meckerer, die die vollständigeren Fassungen sehen und den Humbug durchschauen, leicht verschmerzen.
Um den Vorwurf des Betruges am Zuschauer kommt die ARD so oder so nicht herum, denn Tagesthemen-Schnitzler Karl-Eduard von Buhrow hatte in der Sendung ausdrücklich angekündigt, dass danach »das ganze Interview« gesendet werde.
Das war in jedem Fall eine Falschaussage und Zuschauerbetrug.
»Allerletzter Punkt«, so Roth: »Ich freue mich am Donnerstag, den 04. September um 13:00 Uhr, über das Interview auf tagesschau.de zu chatten. Sie alle sind dazu gewiss herzlich eingeladen.«
Danke. Wir werden da sein.
Copyright © 2008 Das Copyright für die Artikel von Gerhard Wisnewski liegt beim Autor.
Gerhard Wisnewski
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