Der »Spiegel« hat einen neuen Feind entdeckt: Die Blogger. »Deutsche Blogger – Polemisch, rechthaberisch, machtlos«, titelte »Spiegel Online« am 21. Juli 2008. Und auch in der Print-Ausgabe erschien der Artikel. »Polemisch?« »Rechthaberisch?« Und auch noch »selbstbezogen«? Gemein: Was haben die Blogger denn dem »Spiegel« getan – fast klingt das wie das Gekeife in einem handfesten Beziehungskrach. Die Antwort: Der »Spiegel« schiebt Panik vor den Bloggern.
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| Schnell durchschaut: Der Spiegel wehrt sich
mit seinem Blogger-Artikel gegen die Internet- Konkurrenz (Fotomontage) |
»In Deutschland sind die vielen Hände der Amateure ziemlich leer«, spottet der Spiegel über die Blogger. »Blogs bleiben ein Nischenprodukt. Mal lustig, mal interessant. Sehr oft mit nichts als sich selbst beschäftigt. Aber insgesamt ohne große Bedeutung. Man spricht nicht darüber.«
Genau – sondern man schreibt dreiseitige Artikel darüber.
»Schätzungsweise 500.000 deutschsprachige Blogs gibt es. Die meisten sind sanft entschlafene Karteileichen«, pfeift der Spiegel im Blogger-Walde. »Rund 200.000 sind aktiv. Das klingt nach viel. Doch global gesehen sind die Deutschen Blog-Muffel. Nur etwa jeder fünfte Deutsche liest sie überhaupt jemals.«
Achso, dann also weg mit den Dingern – wie heißen die nochmal?
Blogs – von Web und Log, also Web-Tagebuch. Wobei 200.000 nicht nur nach viel klingt, wie der Spiegel schreibt, sondern tatsächlich sehr viele sind. Macht also 200.000 aktive Blogs und 1 Spiegel-Online-Blog. Kein Wunder, dass man da Angst kriegt.
Kaum war das Spiegel-Geschreibsel draußen, konterte denn auch die deutsche Bloggerszene: »Das Übliche, wenn hartgesottene Journalisten Angst um ihren Sessel bekommen und den Konkurrenten verbal ausschalten wollen/sollen/müssen«, hieß es auf blog.netplanet.org.
»Der SPIEGEL hat panische Angst, panische Angst vor Bloggern«, folgerte man auf f!xmbr.de. Der Artikel »Die Beta-Blogger« sei »eine obskure Mischung aus jeder Menge Blödsinn, Unwahrheiten und profaner Meinungsmache der Autoren«.
»Die gefühlte Bedrohung durch den Bürgerjournalismus ist eine Entwicklung, die den deutschen Beta-Journalisten in seinem Selbstverständnis berührt«, stimmte der Spiegelfechter-Blog zu. »Stecken die deutschen ›Beta-Journalisten‹ etwa in einer Daseinskrise?«
Und ob. Denn was der Spiegel-Artikel kaum vermuten lässt: Die deutsche Blogosphäre klaut dem Spiegel immer häufiger die Butter vom Brot und ist ihm intellektuell überlegen. Das ist auch keine große Kunst, denn der Spiegel hat inzwischen einen neoliberalen und neokonservativen Tunnelblick. Und ein Tunnelblick ist nie gut für den Journalimus. »Auf den größeren, insbesondere wenigen politischen Blogs, gilt das Magazin aus der wunderschönen Hansestadt Hamburg nur noch als neoliberale Kampfzentrale Deutschlands«, hieß es auf f!xmbr.de. »Es gibt kaum einen politischen Artikel aus der Brandstwiete, den man mit wenig Gegenrecherche nicht auseinander nehmen könnte.«
Und damit werden die Spiegel-Leute natürlich immer wieder knallhart konfrontiert. Genüsslich breitete beispielsweise blogbar.de aus, wie Spiegel Online bei Wikipedia gleich die falschen Kommas mitklaute und sich postwendend entschuldigen musste.
Ja, es gibt Blogs, über die der Spiegel-Redakteur gar nicht gerne redet, zum Beispiel spiegelkritik.de. Den vergisst man in dem Artikel doch glatt zu erwähnen. Der Blog (oder etwa DAS Blog, wenn es doch ein Web-Tagebuch ist …?) fällt immer wieder vernichtende Urteile über die »Bild am Montag« (Redensart):
Dass die Mainstreamjournalisten über die Blogs jammern, sei »ein gutes Zeichen, denn es zeigt, dass man sich kontrolliert fühlt, nicht machen kann, was man will, ohne auch kritisiert zu werden«, meint opponent.de. »Genau das ist der Sinn jener Blogs, die sich als Konkurrenz, gar als Alternative zu den etablierten Medien begreifen.«
Die Blogs als Konkurrenz zu Medienschlachtschiffen wie Spiegel Online? Ist das nicht etwas übertrieben? Keineswegs. Denn eins ist klar: Jede Internetzeile klaut den etablierten Online-, aber auch Print- und TV-Medien Publikum. Fünf Minuten, die ein Leser auf einem Blog verbringt, kann er nicht bei Spiegel Online verbringen. Und 200.000 aktive und insgesamt eine halbe Million Blogs sind eine gewaltige Bedrohung für den etablierten (Online-) Journalismus. Das sind also 200.000 Graswurzel-Medien gegen ein paar große Mainstreammedien.
Die Blogger-Szene ist explodiert, die Vielfalt unübertroffen, die Professionalität im Wachsen begriffen. Die Grenzen zwischen professionellen (Online-) Medien und Blogs verschwimmen bereits. Während manche, klassische Blogs aussehen wie Tagebücher, werden andere im Zeitungsstil gestaltet. Der Begriff Blog wandelt sich und umfasst inzwischen jedes Medium, das zum Tagesgeschehen Nachrichten verbreitet oder Stellung nimmt. Die Zersplitterung betrifft auch die kommerzielle Struktur der Medien. Auch Werbung wird nicht mehr nur explizit bei einem bestimmten Medium geschaltet. Der Werbetreibende geht nicht mehr ausschließlich zu einem Medium und schaltet eine Anzeige oder ein Banner, sondern die Werbebanner werden in Webportalen bereitgestellt, wo sie sich jeder Blogger auf seine Seite holen kann. Bezahlt wird dann zum Beispiel nach Klicks.
Ein- und dasselbe Banner kann im Prinzip 100.000 Mal bei Spiegel Online oder 100 Mal bei tausend anderen Seiten angeklickt werden. Noch gibt es zwar qualitative Unterschiede, etwa was die aufwendige Gestaltung und den Platzbedarf von animierten Bannern betrifft. Aber trotzdem werden Schlachtschiffe wie Spiegel Online, so auch die Angst der Beta-Journalisten, eines Tages möglicherweise einfach im Meer der Blogs absaufen und sich im Internet auflösen wie ein Stück Zucker im Kaffee. Und dann wird herauskommen, daß auch Spiegel Online nichts anderes ist und war als die anderen: Ein Blog unter vielen. Und ein besonders voreingenommener obendrein.
Copyright © 2008 Das Copyright für die Artikel von Gerhard Wisnewski liegt beim Autor.
Gerhard Wisnewski
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