Nach dem verheerenden Sturz von Formel-1-Star Michael Schumacher schlagen die Wellen hoch: Ist Schumi nun eine »Pistensau« oder nicht? War er nun zu schnell auf der Abfahrt unterwegs oder nicht? Keineswegs, meinen Schumacher-Verteidiger – wenn, dann nur mit schlappen 20 Stundenkilometern. Doch in einem Geröllfeld können eben schon 20 Stundenkilometer viel zu viel sein. Zahlreiche Indizien weisen aber ohnedies darauf hin, dass Schumacher noch wesentlich schneller fuhr…

Skiort Méribel/Von Tschnell
Während der vielfache Formel-1-Weltmeister nach seinem schweren Skiunfall noch im Koma liegt, läuft Schumachers PR-Maschine zur Hochform auf. Auf keinen Fall soll der Eindruck entstehen, dass der frühere Formel-1-Weltmeister auch auf dem Ski-Abhang raste. Doch die Verteidigungsreden von Schumachers Umfeld haben es in sich. Beispielsweise wird seine Managerin mit den Worten zitiert, »Schumi« sei »nicht allzu schnell« unterwegs gewesen. Eine vielsagende Relativierung. Der frühere Formel-1-Konkurrent Mika Häkkinen flehte Schumacher regelrecht an, sich bei der Genesung Zeit zu lassen. »Bitte tu mir nur einen Gefallen«, schrieb er: »Versuche ein einziges Mal nicht, die Zeit zu schlagen.« Aber genau das hatte Schumacher wohl auch vor seinem verheerenden Skiunfall vom 29. Dezember 2013 im französischen Méribel versucht. Ein Rat, der deshalb wohl zu spät kommt.
Nur 20 Stundenkilometer schnell?
Sprachen der zertrümmerte Helm und Schädel Schumachers zunächst eine eindeutige Sprache, soll der Rennfahrer neuesten Berichten zufolge ganz »gemächlich« den Hang hinunter gerutscht sein. Beim Spiegel habe sich von selbst ein Skifahrer gemeldet, der den ehemaligen Formel-1-Piloten zufällig im Hintergrund gefilmt habe, berichtete die Website des Nachrichtenblattes. Eigentlich habe der Mann mit dem Handy seine Freundin aufgenommen: Aber »im Hintergrund des Films ist demnach leicht verwackelt zu sehen, wie ein Skifahrer in dem nicht präparierten Teil zwischen zwei Pisten über den Schnee gleitet und schließlich zu Fall kommt. Nach Aussagen des Zeugen, der sich am Freitag beim Spiegel meldete, war dieser Skifahrer offenbar Michael Schumacher. Er soll ›gemächlich gefahren‹ und mit einem Tempo von ›maximal 20 Stundenkilometern‹ unterwegs gewesen sein«. Damit ist ein angebliches Video in der Welt, das bisher sonst niemand gesehen hat. Ein journalistisch höchst fragwürdiger Vorgang. Das Ganze riecht wie eine typische PR-Inszenierung. Denn Zeuge und Video sind nichts weiter als Phantome:
Mit anderen Worten handelt es sich bei dem angeblichen Zeugen und seinem Video bisher nur um heiße Luft: Ein Unbekannter redet von einem Video, das sonst niemand gesehen hat und auf dem ein Unbekannter auf einer Skipiste mit unbekannter Geschwindigkeit hinfällt. Denn von einer verlässlichen Geschwindigkeitsermittlung kann hier natürlich keine Rede sein. Dass der Spiegel dieses Video und die Geschwindigkeitsangabe (»20 Stundenkilometer«) auf dieser Grundlage überhaupt in die Welt setzte, ist erstaunlich.
»Mächtiger Aufprall«
Bevor solche Luftblasen in die Welt gesetzt wurden, sprachen die Einschätzungen der behandelnden Ärzte in Grenoble, die jeden Tag mit Skiverletzungen zu tun haben, eine deutliche Sprache:
Helm bricht erst ab 22 km/h
Von wegen nur »20 Stundenkilometer« (in einem Geröllfeld ohnehin zu viel). Wenn das wahr wäre, hätte Schumachers Helm eigentlich nicht brechen dürfen. In Wirklichkeit widerstehen Skihelme, die herkömmlichen Industriestandards entsprechen, mindestens einem Aufprall mit 22 Stundenkilometern, so Dr. Adolf Müller, Chefarzt an der Klinik für Neurochirurgie im Krankenhaus Barmherzige Brüder, Regensburg. Demnach müsste Schumacher, nachdem Helm und Schädel zertrümmert waren, doch um einiges schneller gewesen sein. Schwere Schädel-Hirn-Traumen, »die eine neurochirurgische Behandlung erforderlich machen oder gar zu einer Behinderung oder zum Tod führen«, sind nach Angaben des Neurologen Müller sogar »eine Rarität«. Demnach kommt es äußerst selten vor, dass ein Skifahrer so schwer mit dem Kopf irgendwo gegen knallt, dass er ein Schädel-Hirn-Trauma erleidet. Müller hatte in den letzten 14 Jahren nur einen Fall. Der Skifahrer war in der Abenddämmerung auf eine stehende Pistenraupe aufgefahren.
Um die Brocken Slalom gefahren?
Die nächste Frage ist natürlich, warum Schumacher am 29. Dezember überhaupt die markierten Pisten verließ, um in das Geröllfeld hineinzufahren. »Manche Skifahrer nutzen solche unpräparierten Abschnitte für kurze Abenteuer«, schreibt der Spiegel (2/2014). »Sie wedeln durch den Pulverschnee und kurven um die Brocken, als wären diese Slalomstangen.« Cool. Und dann? »Offenbar bleibt Schumacher bei einem Schwung abrupt hängen. Er verliert so schnell den Halt, dass er sich nicht abfangen kann, angeblich öffnet sich auch die Bindung seines Leihskis nicht. Hilflos knallt er mit der rechten Kopfseite auf das harte Gestein, sein Helm zerbirst.« Schuld an dem Unglück ist laut Spiegel »ein Stein oder vielleicht bloß eine störrische Skibindung«. Und damit es auch jeder kapiert: »Es gibt keinen Schuldigen, keinen Bösewicht, es ist einfach so geschehen.« Ist ja gut. Beim Spiegel hat man sich offenbar auf die Seite der Schumacher-PR-Abteilung geschlagen.
In einem Bericht der Daily Mail wird das Geschehen denn auch ganz anders geschildert. Demnach flog Schumacher nach dem Aufprall auf einen verschneiten Felsen regelrecht durch die Luft, bevor er mit dem Kopf auf einen anderen Stein aufschlug: »Nachdem er einen Felsen getroffen hatte, verlor Michael Schumacher die Kontrolle über seine Skier und flog in drei weitere Felsen, wurde heute behauptet. Die Formel-1-Legende wurde mit solcher Kraft mit dem Kopf voraus ›katapultiert‹, dass sein Helm in zwei Teile zerbrach…«
»Er hob ab und schlug auf drei weitere Felsen auf«…
»Laut dem ersten Ski-Sanitäter am Unfallort«, so die Daily Mail, schlug »Schumi« wie eine Bombe in dem Geröllfeld ein: Demnach »traf Schumacher einen in der Nacht verschneiten Felsen und anschließend drei weitere Felsen«. Der Sanitäter, der namentlich nicht genannt werden wolle, habe gesagt: »Wir kamen innerhalb von zwei Minuten an. Der Mann verlor die Kontrolle, nachdem er einen leicht verschneiten Felsen getroffen hatte. Er hob ab, fiel und schlug auf drei weitere, abwärts gelegene Felsen auf. An dem letzten Felsen befand sich eine Menge Blut.« Demnach müsste Schumacher in Wirklichkeit mit dem sprichwörtlichen »Affenzahn« in das Felsengebiet eingefahren sein. Laut der Londoner Times war Schumacher Ermittlern zufolge zum Zeitpunkt des Unfalls denn auch mit satten 60 bis 100 Stundenkilometern unterwegs. Und auch die vorsichtige Aussage von Schumachers Managerin Sabine Kehm spricht eigentlich Bände (»nicht allzu schnell«). Eine wie gesagt bemerkenswerte Relativierung.
»Be a HERO«
Wie jeder Skifahrer weiß, ist ein dichtes Geröllfeld nun mal äußerst gefährlich. Möglicherweise hängt die Antwort auf die Frage, warum Schumacher dort hinein fuhr, auch mit der Frage zusammen, warum er überhaupt eine Helmkamera (Typ GoPro, laut speed-magazin.de) trug. Der Wahlspruch der Firma lautet »Be a HERO«. Die Kameratypen tragen Typenbezeichnungen wie »Hero 3« oder »Hero 3+«. Derartige Kameras (Werbung: »kompromissloser Einsatz in der Luft, zu Land und im Wasser«) trägt man in der Regel nicht, um brave Abfahrten aufzunehmen.

GoPro Hero 3-Kamera/Von Peter Andersson
Schon eher sollen mit solchen Helmkameras spektakuläre Kunststückchen gefilmt werden. Zum Beispiel sprang der Österreicher Felix Baumgartner am 14. Oktober 2012 in 39 000 Metern Höhe damit aus einer Ballonkapsel. So würde es durchaus Sinn ergeben, wenn auch Schumacher mit voller Absicht in das Geröllfeld hineingefahren wäre, um etwas Besonderes abzulichten.
Helmkamera GoPro HERO
Hero-Kameras sind schließlich das Werkzeug der Red-Bull–Generation. Motto: Auf Teufel komm raus durch die Landschaft schleudern und das Ganze dabei filmen – egal, ob mit Skiern, Mountainbike, Fallschirm oder anderen Sportgeräten. Das Ziel: schneller Ruhm. In diesem Fall wohl eher: nicht enden wollender Ruhm. In Wirklichkeit setzt einen eine Helmkamera unter Leistungsdruck, etwas Bemerkenswertes zu liefern. Eine Sache wird nicht nur um ihrer selbst willen betrieben, sondern auch, um das Ergebnis hinterher vorzuzeigen. Weil dabei ein Zielkonflikt zwischen Vorsicht und Vergnügen auf der einen und der Vorführung auf der anderen Seite entsteht, sind derartige Kameras nicht ganz ungefährlich. Das eigene Genuss- und Sicherheitsstreben wird von Sensationsstreben konterkariert. Und vermutlich will gerade ein Schumacher hinterher kein braves Pistenwedeln vorzeigen …
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Gerhard Wisnewski
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