Alle haben Mitleid mit Michael Schumacher. Und ist es nicht auch schrecklich: Am 29. Dezember 2013 bretterte der frühere Formel 1-Star beim Skifahren im französischen Méribel gegen einen Felsen und zog sich dabei ein schweres Schädel-Hirn-Trauma zu. Trotzdem muss die Frage erlaubt sein: Ist das nun wirklich ein tragischer Unfall, wie die Medien behaupteten, oder nur logische Konsequenz von Schumachers suchtartiger Raserei?

Michael Schumacher 2007/Von Gunnar Richter
De mortuis nihil nisi bene – über die Toten nur Gutes, sagt ein alter lateinischer Spruch. Aber Michael Schumacher ist doch gar nicht tot! Umso besser. Dann können wir ja mal loslegen. Das heißt: Einer gewissen Anteilnahme kann man sich natürlich nicht entziehen. Eigentlich könnte uns das Schicksal eines vom Leben verwöhnten Multimillionärs zwar egal sein, aber die Medien bringen uns den Unfall von Michael Schumacher so nahe, dass er uns beim besten Willen nicht gleichgültig sein kann. Nur: Hieße der Mann nicht Schumacher, würde kein Hahn nach ihm krähen. Und wenn doch, würde man den Vorfall ganz nüchtern und ohne den Nimbus eines Weltstars betrachten. Hieße Schumacher nicht Schumacher, sondern Müller oder Meier, bliebe nur der Raser übrig. Weder seine Verantwortung als Familienvater, noch mehrere schwere Unfälle, von denen einer ihn fast in den Rollstuhl brachte, konnten ihn von seiner fortgesetzten Raserei abhalten. Von den Formel 1-Crashs rede ich dabei gar nicht, da berufsbedingt.
Eine Fliegenklatsche auf zwei Rädern
Möglicherweise ist Geschwindigkeitssucht genau das, was manch erfolgreicher Rennfahrer braucht – vielleicht sogar eine gewisse Todessehnsucht. Carbon- und Kevlarcockpits sowie Hals- und Nackenprotektoren schützen derartige Speed-Junkies schließlich vor einem frühen Ableben, so dass ihre gefährliche Sucht optimal genutzt werden kann. Bis zu einem gewissen Grad kann eine selbstmörderische Fahrweise unter Umständen von Nutzen sein, da man dabei Siege einfahren kann, ohne sich gleich umzubringen. Was allerdings passiert, wenn ein solcher Mensch ohne derartige Schutzeinrichtungen auf die Menschheit und vor allem auf sich selbst losgelassen wird, zeigt der Fall Schumacher wie kein zweiter. Gegen Ende seiner Formel 1-Karriere suchte er sich ein noch zuverlässigeres Selbstmordinstrument, zum Beispiel eine Ducati GP 5, ein etwa 230 PS starkes und rund 350 Stundenkilometer schnelles Geschoss, das sich bei einem Aufprall auf eine Wand in eine Fliegenklatsche verwandelt. Denn ein solches Rennmotorrad verfügt natürlich nicht über dieselben Schutzeinrichtungen wie ein Formel 1-Wagen, wo der Fahrer in einem hochfesten Kokon sitzt. 2009 kam es denn auch zu einem schweren Motorradunfall bei einem Motorradrennen im spanischen Cartagena. Kaputt war hinterher nicht nur eine Rippe, sondern auch ein Halswirbel. Um ein Haar wäre ein Rollstuhl Schumis letzter Renner geworden.
Schumi noch ganz dicht?
Mit seiner Geschwindigkeitssucht stach Schumi unter anderen Rennfahrern heraus. Während sich andere zivile Berufe suchten und sich in die Familie zurückzogen, war vor Schumi keine Piste sicher – egal ob Auto-, Motorrad- oder Skipiste. Nach dem Motto: Spaß macht, was glatt ist. Folgerichtig rätselten Experten, was Schumachers neue Zweirad-Leidenschaft nach dem vorläufigen Ende seiner Formel 1-Karriere überhaupt sollte: »Bereits vorher fragten einige Beobachter, Rennfahrer und Wegbegleiter des Deutschen, darunter [der bekannte Rennsportmanager] Jean Todt, warum der Rekordchampion überhaupt seine Gesundheit auf zwei Rädern riskierte«, hieß es beispielsweise im Motorsport-Magazin (11.8.2009). Rennfahrerlegende und Formel 1-Teambesitzer Eddie Jordan fand demnach gar deutliche Worte: »Was hat er sich dabei gedacht? Er muss ein Brett vor dem Kopf gehabt haben«, zitierte das Fachblatt den Rennsportexperten. Ist »Schumi« vielleicht gar nicht »ganz dicht«?
In Bezug auf die eigene Geschwindigkeitssucht fehlt dem Mann jedenfalls ein lebensnotwendiges Maß an Einsichtsvermögen. Weitere Freizeitvergnügen: Fallschirmspringen, Kart- und Motorrad-Fahren, Bungee-Springen und natürlich Skifahren – oder wie die »Generation Red Bull« eben sonst so durch die Landschaft schleudert. In jedem Fall sind das alles Sportarten, bei denen hohe Geschwindigkeiten und bei einem Unfall enorme Kräfte auftreten. Der Unfall vom 29. Dezember 2013 in Méribel ist daher auch nicht so tragisch, wie manche Kommentatoren behaupteten, sondern vielmehr zwingend. Schumacher hat mit aller Konsequenz daraufhin gearbeitet.
»Teilweise unüberlegt und eigensinnig«
Die Wahrheit ist: Schumacher ist überhaupt nicht der »coole« Profi, der jedes Risiko nüchtern kalkuliert. Das ist vielmehr nur ein selbstgestrickter Mythos. In Wirklichkeit handelt er laut einem Porträt bei Motorsport Total »teilweise unüberlegt und eigensinnig, teilweise unaufmerksam«. 2011 wurde der Speed-Junkie Schumacher trotzdem ausgerechnet europäischer Botschafter für die Sicherheit im Straßenverkehr: »Wie passt das zusammen?«, fragte die Website des Europaparlaments den Profi-Raser: »Ihr Job ist es, sehr schnell zu fahren. Sie hatten schon schwere Unfälle während Ihrer Formel 1-Karriere. Passt das zu Ihrer Rolle als Botschafter für Verkehrssicherheit?« Klar, meinte der Befragte. Er fühle sich sehr wohl damit. 2013 engagierte er sich auch noch bei einer Anti-Raser-Kampagne in Chile.
Hintergrund: In Chile hatten sich unverantwortliche Raser immer wieder selbst als »Schumachers« bezeichnet: »Selbsternannte Schumachers haben in den vergangenen zehn Jahren mehr als 16.000 Verkehrsunfälle verursacht«, hieß es bei der Anti-Raser-Kampagne. »Mit mehr als 1.300 Toten.« Die chilenischen Behörden verdonnerten »Schumi« offenbar, den Schaden zu begrenzen, indem sie ihn um Mitwirkung bei dem Werbefeldzug baten. »Daraufhin willigte der 44-Jährige offenbar ein, die Anti-Raser-Kampagne zu unterstützen«, so das Motorsport-Magazin.
Eine Mahnung an sich selbst?
Schumachers Äußerungen in dem entsprechenden Werbespot klangen wie eine Mahnung an sich selbst: »Ich weiß, Du glaubst, Du fährst gut. Dass sich Beschleunigung gut anfühlt. Dass du dich auf deine Reflexe verlassen kannst. Dass dir schon nichts passieren wird. Dass dich deine Freunde einen ‹Schumacher› nennen und dass du denkst, du bist ein guter Fahrer. Respektiere die Tempolimits, respektiere dein Leben und das Leben anderer. Bitte sei nicht dumm.« Schumachers Empfehlung: »Sei kein Schumacher.« Aber wahrscheinlich hört der Mann nicht einmal auf sich selbst. Geschweige denn auf die vielen Fingerzeige des Schicksals, das so gnädig war, ihn immer wieder von den Todgeweihten auferstehen zu lassen. Und auch diesmal könnte es ihm noch eine allerletzte Chance geben.
Nach den jüngsten Verlautbarungen der Ärzte in Grenoble ist sein Zustand kritisch, aber stabil. Das ist zwar schön. Aber ist nicht zu befürchten, dass »Schumi« auch auf den jüngsten Wink des Schicksals pfeifen und auf seinem Todeskurs weiter machen wird? Nicht doch, will uns neuerdings sein Umfeld Glauben machen. Zwar waren sich direkt nach dem Unfall alle einig, dass Schumacher mit hoher Geschwindigkeit auf der Piste unterwegs gewesen sein muss – und zwar aufgrund seines total zertrümmerten Helms und Schädels. Doch nun bemüht man sich um Imagepflege.
Wobei die Erzählungen seiner Managerin eigentlich alles nur noch schlimmer machen: »Nach Aussage seiner Managerin Sabine Kehm vom Dienstag half Schumacher kurz vor seinem Unfall einem gestürzten Freund auf«, berichtete die Welt (online, 2.1.2014) »Kurz nachdem er wieder losgefahren war, übersah er einen Stein, verlor die Kontrolle und stürzte mit dem Kopf auf einen Felsen.« Was ganz so aussieht, als habe Schumacher, kurz nachdem er noch einem Gestürzten aufgeholfen hatte, erst so richtig Gas gegeben. Vermutlich weil diese Geschichte nicht so richtig gut war, wurde aus dem »Freund« inzwischen ein »Kind«, nämlich ein Mädchen. Aber mal ehrlich: So richtig gut ist das auch noch nicht. Deswegen mein Vorschlag: Bevor er mit High-Speed auf den Felsen knallte, rettete Schumacher auch noch einen Hund, grub ein Lawinenopfer aus und half einer alten Omi über die Piste …
Copyright © 2013 Das Copyright für die Artikel von Gerhard Wisnewski liegt beim Autor.
Gerhard Wisnewski
c/o Kopp Verlag, Bertha-Benz-Str.
72108 Rottenburg a.N.