Am 24. Dezember feiern wir die Geburt des Christkindes. Ziemlich genau vor 2000 Jahren soll Jesus Christus auf die Welt gekommen sein, zu dessen Ehre sich gleich drei Heilige aus dem Morgenland aufgemacht haben sollen, um das Neugeborene mit Weihrauch, Myrrhe und Gold zu beschenken. Doch nicht jeder Neuankömmling auf Gottes Erdboden wird so verwöhnt. Mitunter tauchen auch Mutter, Vater oder Geschwister mit einem Kissen am Kinderbettchen auf, um das Baby gleich wieder »an den Absender zurückzuschicken«. »Plötzlicher Kindstod« lautete dann oft die Diagnose. Doch »am« Tod kann man bekanntlich nicht sterben. Steckt hinter dieser seltsamen Krankheit also vielleicht eine viel unheimlichere Wahrheit? In seinem neuen Buch »ungeklärt – unheimlich – unfassbar« ist Gerhard Wisnewski den Spuren nachgegangen…

Schlafendes Kleinkind (Symbolbild)/Von Officer
Ein Kind zu ermorden geht in Deutschland ganz einfach. Das stellte sich bei einem Prozess Ende Juni 2013 vor dem Landgericht Limburg heraus. Dort stand eine Mutter vor Gericht, die 2004, 2006 und 2009 ihre drei Säuglinge umgebracht hatte. Die Sache fiel jahrelang nicht auf. Denn die ersten beiden Todesfälle hatte die Frau mit dem »plötzlichen Kindstod« erklärt. Weil alle Welt an einen natürlichen Tod der Kinder glaubte, wurde der dritte Säugling zwar mit einem Monitor überwacht. Das nützte jedoch nichts, weil die Mutter das Baby genau wie seine Geschwister beseitigte. Als sich der Vater schlafen gelegt hatte, griff die Mutter zu ihrer »bewährten Tötungsmethode«, drückte dem Kind die Nasenflügel zu und stopfte ihm ein Spucktuch in den Hals, das sie nach seinem Tod wieder herauszog.
Der »plötzliche Kindstod« ist keine Krankheit
Der »plötzliche Säuglingstod« komme in Deutschland »etwa einmal auf 2000 Geburten vor, der Altersgipfel liegt zwischen zwei und vier Monaten«, schreibt die Medizinerin Sophia Hömberg in ihrer Doktorarbeit: »Er ist in Europa die häufigste Todesursache im Säuglingsalter nach dem sechsten Lebenstag.« Und kaum fällt dieser Begriff, können sich die Hinterbliebenen auf das Mitleid und die Rücksichtnahme ihrer Umgebung verlassen. Vor allem werden dann keine Fragen mehr gestellt. Dabei ist es schon eine seltsame Krankheit, die da immer wieder gesunde Säuglinge dahinrafft. Denn eigentlich ist es gar keine Krankheit, sondern, wenn überhaupt, nur eine Todesursache. Als Krankheit kann man den plötzlichen Säuglingstod (SIDS; Sudden Infant Death Syndrome) an einem lebendigen Kind nicht diagnostizieren. Kein Arzt ist in der Lage, bei einem Säugling klinische Symptome oder eindeutige klinische Warnzeichen eines späteren plötzlichen Säuglingstodes festzustellen.
Am Tod kann man nicht sterben…
Die Redewendung, ein Kind sei »am plötzlichen Kindstod« gestorben, ist widersinnig und zählt wohl zu den großen Lebenslügen unserer Gesellschaft. Denn am Tod kann man bekanntlich nicht sterben. Der Tod selber ist auch keine Krankheit, sondern höchstens das Ergebnis einer Krankheit. Er ist deshalb auch keine Ursache, sondern eine Wirkung. Eine medizinische Ursache lässt sich für den plötzlichen Kindstod nicht ausmachen. Mit anderen Worten, der so genannte plötzliche Kindstod ist weder eine Krankheit noch eine Todesursache, sondern ein Phänomen. »Die Ursache für den plötzlichen Tod der Säuglinge ist nicht geklärt, der Begriff ›plötzlicher Säuglingstod‹ beschreibt nur das Phänomen, dass ein Säugling überraschend plötzlich tot aufgefunden wird«, heißt es in der oben erwähnten Dissertation (S. 44). SIDS ist demnach auch keine Diagnose, sondern lediglich die Feststellung, dass das Kind plötzlich tot war – warum auch immer. Kurz: Jeder SIDS-Fall ist nichts weiter als ein ungeklärter Todesfall.
»Letztlich ist die Verwendung des Begriffs ›Sudden Infant Death Syndrome‹ für den plötzlichen Säuglingstod völlig unzutreffend schon deswegen, weil sich ein Syndrom definitionsgemäß aus mehreren Symptomen zusammensetzt. Beim plötzlichen Säuglingstod handelt es sich aber lediglich um ein Symptom, nämlich, dass das Kind plötzlich und unerwartet verstorben ist«, heißt es in einer Studie des Münchner Instituts für Rechtsmedizin. »SIDS ist ein Syndrom, dessen erstes und einziges Symptom der Tod ist!«, wird dort ein Mediziner zitiert.
SIDS = SUID
Bei plötzlich und unerwartet verstorbenen Kindern handele es sich weit eher um »SUD«-Fälle (Sudden Unexplained Death/»plötzlicher ungeklärter Tod«). Die Untersuchung schlägt für das Phänomen daher den Begriff »SUID« vor (Sudden Unexplained Infant Deaths/»plötzliche ungeklärte kindliche Todesfälle«). Und das lässt jede Menge Raum für ganz andere Ursachen: »Der plötzliche Säuglingstod ist unter Umständen nicht von einer Kindstötung zu unterscheiden«, heißt es in der zitierten Dissertation. Die äußeren Anzeichen von tödlicher Gewalteinwirkung seien bei Säuglingen und Kleinkindern nämlich »oft nur schwach ausgeprägt oder können ganz fehlen. Zum Beispiel kann ein Ersticken unter einer weichen Bedeckung unentdeckt bleiben«.
Laut der Rechtsmedizinerin Mechtild Vennemann wiesen obduzierte SIDS-Kinder in fünf Prozent der Fälle »unerwartete tödliche Misshandlungen« auf. Unter der erwähnten weichen Bedeckung sei zum Beispiel ein Ersticken »meist ohne Erstickungsblutungen« möglich. Auch bei einem Schütteltrauma gebe es meist keine äußeren Verletzungen, genauso wenig wie bei einem stumpfen Bauchtrauma. Der bekannte Gerichtsmediziner Professor Randolph Penning schrieb: »Bei rein vorsichtshalber durchgeführten Obduktionen offensichtlicher SIDS-Kinder werden nicht ganz selten (bis zu ca.zehn Prozent) völlig unerwartet tödliche Misshandlungen festgestellt!« Mit anderen Worten, es liegen immer wieder misshandelte oder ermordete Babys ohne Anzeichen von äußerer Gewalteinwirkung in ihren Betten. Vennemanns Forderung lautet deshalb: Jedes tote Kind bis zum Alter von 24 Monaten »muss obduziert werden«. Aber auch das wird nicht alle Tötungsdelikte ans Licht bringen. So sprach Gerichtsmediziner Penning von der »Schwierigkeit bzw. nahezu Unmöglichkeit, gewaltsame Todesfälle durch weiche Bedeckung, also Aufdrücken eines Kissens, feuchten Tuches o.ä. sicher abzugrenzen…«.
Kein Unterschied zwischen SIDS und Ersticken
Die Pathologin Marie Valdes-Dapena kommt laut der Münchner Studie sogar zu dem Ergebnis, dass »eine Unterscheidung zwischen einer Tötung durch Ersticken, zum Beispiel mittels eines weichen Gegenstandes, und einem SIDS nicht möglich« sei. »Die makroskopischen und mikroskopischen Befunde sind dieselben.« Aber wenn zwischen einem SIDS und einer Tötung durch Ersticken kein Unterschied besteht, heißt das doch wohl, dass beides identisch ist. Und tatsächlich sei das Ersticken »wohl die häufigste übersehene Methode der Kindstötung«, so die Münchner Studie: »Bei Säuglingen und Kleinkindern ist das Ersticken eine relativ leicht auszuführende Tötungsmethode«…
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Gerhard Wisnewski
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