Geschichte ist bekanntlich die Lüge, auf die sich alle geeinigt haben. Das soll ja schon Voltaire bemerkt haben. Nicht bekannt war bisher, wie sehr unsere Geschichte von Lügen durchwirkt ist. Einen wichtigen Aufklärungsbeitrag hat dazu ein neues Buch geleistet, das die fotografischen Lügen unserer Vergangenheit aufs Korn nimmt. Dabei stellt sich heraus: Viele legendäre Bilder aus unseren Schul- und Geschichtsbüchern sind nichts weiter als Fälschungen und Inszenierungen…

»Eine Lüge ist bereits drei Mal um die Erde gelaufen, bevor sich die Wahrheit die Schuhe anzieht«, sagte auch der amerikanische Dichter Mark Twain. Manchmal dauert es auch noch viel länger. Erst vor Kurzem hat der ehemalige Zeitungsredakteur Hans Becker von Sothen die spektakulärsten »Bild-Legenden« unserer Vergangenheit in einem gleichnamigen Buch entlarvt und zusammengestellt.
Der fallende Soldat
Und wenn man es liest, kommt man aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Große Teile unserer Geschichte werden da aufgeblättert, jedes einzelne Bild wird seziert, historisch untersucht – und für falsch befunden. Kennen Sie zum Beispiel den »fallenden Soldaten« von Robert Capa? Bestimmt. Es ist eine der berühmtesten Fotografien der Menschheit. Das Bild zeigt eine Szene aus der Zeit des spanischen Bürgerkrieges um 1936 – nämlich wie ein offenbar von einer Kugel getroffener Soldat nach hinten fällt, während ihm seine Waffe aus der Hand gleitet. Der Tod eines Soldaten! Der Moment des Treffers! Genau »erwischt«! Unglaublich. Dafür wurde Capa (der in Wirklichkeit Friedmann hieß) zum »größten Kriegsfotografen der Welt« gekrönt; seine Aufnahme schmückt Schul- und Geschichtsbücher auf der ganzen Welt. Das Problem ist nur: Sie ist eine Fälschung.

Robert Capas »Fallender Soldat« – eine Fälschung
Schließlich würde ja auch schon unwahrscheinliches »Glück« dazu gehören, einen Soldaten genau im Moment des tödlichen Treffers abzulichten – und selbst dabei zu überleben. Denn wie sich aus dem Bild ergibt, muss Capa direkt daneben gestanden haben. Richtig verdächtig ist aber, dass Capa nicht nur einen, sondern gleich drei Soldaten im Augenblick ihres Todes fotografierte – und zwar an exakt derselben Stelle, wie man dem Hintergrund der Aufnahmen entnehmen kann. Ja, nicht nur das: An den Wolken kann man auch erkennen, dass die Bilder im Abstand von wenigen Minuten gemacht worden sein müssen – was bedeutet, dass auf ein und demselben Fleckchen Erde die Soldaten wie die Fliegen fielen und Capa direkt daneben stand, um alles abzulichten. Was bleibt, schreibt Becker von Sothen, sei »ein Foto, das sich, vielleicht auch durch die Manipulation des Fotografen, in das kulturelle Gedächtnis eingebrannt hat – und von dort auch nicht so leicht verschwinden wird…«
Der Attentäter und sein Sympathisant
Und damit ist es nicht das einzige. Neben Capas fallendem Soldaten findet sich in Bild-Legenden zum Beispiel auch das berühmte Foto des begeisterten Adolf Hitler in einer Menschenmenge auf dem Münchner Odeonsplatz – am Tag des Kriegsausbruches 1914. Nur: Wie Hitler in das Bild überhaupt hineinkam und ob er sich damals wirklich in der Menschenmenge am Odeonsplatz befand, ist durchaus zweifelhaft, wie Becker von Sothen belegen kann. Oder wie wär‘s mit einem anderen Bild aus demselben Jahr: Einer Aufnahme des Attentäters Gavrilo Princip bei seiner Festnahme nach dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo. Dieses Bild findet sich zum Beispiel in dem Schulbuch Geschichte – Geschehen aus dem Ernst Klett Verlag (Leipzig 2010). Bildunterschrift: »Der serbische Student Gavrilo Princip erschoss den Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau in Sarajevo.« Laut Becker von Sothen ist die auf dem Foto gezeigte Person jedoch gar nicht Princip, sondern Ferdo Behr, ein Sympathisant des Attentäters.
Ein Foto aus zwölf Negativen
Oder wie wär‘s mit dem berühmten Schlachten-Bild »Der Angriff« des Kriegsfotografen Frank Hurley aus dem Ersten Weltkrieg: »Hurleys Aufnahmen zeigten Explosionen, Luftkämpfe und aus den Schützengräben herausstürmende Soldaten – und das alles auf einem einzigen Foto«, schreibt Becker von Sothen. Das Bild hatte nur einen Nachteil: Die Ereignisse »hatten so nie stattgefunden«. Bei Hurleys Bild »Der Angriff« zum Beispiel, das quasi die Schlachtenszenen aus Coppolas Apocalypse Now vorwegnahm, hatte der Fotograf das Wort »Bildkomposition« wohl etwas zu wörtlich genommen. Das Foto wurde aus nicht weniger als zwölf Negativen zusammengesetzt. Nach Meinung von wirklichen Kriegshistorikern sind derartige Hurley-Bilder nichts weiter als »Fälschungen«. Woraus sich ergibt, dass Kriegsszenen nicht erst heute, sondern schon immer manipuliert wurden. Und zwar weil die Bilder, die man gerne haben wollte, nur selten mit einem Druck auf den Auslöser zu bekommen waren. Entweder war das technisch unmöglich und zu gefährlich – und/oder die Wahrheit sah eben ganz anders aus, als es die eigene Propaganda gerne gehabt hätte. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Besteht aus zwölf Negativen: Frank Hurleys »Der Angriff« aus dem Jahr 1916
Photoshop gabs schon immer
Fotos wurden gestellt und manipuliert, seit die Fotografie erfunden wurde. Photoshop gab es sozusagen schon immer. Das gleichnamige Programm hat die Sache nur erheblich erleichtert und die Schwelle für Manipulationen, Fälschungen oder »Retuschen« so enorm gesenkt, dass man heute eigentlich keinem Bild und keinem Video mehr trauen kann. Denn natürlich wurden entsprechende Techniken auch für bewegte Bilder entwickelt. Die Wahrheit ist: Unsere jüngere Geschichte ist voll von symbolischen Bildern, deren gemeinsames Merkmal darin bestand, dass sie immer »einen Tick« zu gut, zu gelungen und zu symbolisch erschienen und auf diese Weise Karriere in unseren Schul- und Geschichtsbüchern machten. Ja, manche Bilder wurden gar zum Symbol und zum unangefochtenen Denkmal für das behauptete geschichtliche Ereignis selbst – ohne dass irgendjemand noch Fragen nach der Authentizität stellte. In Wirklichkeit waren und sind sie so künstlich, wie es Denkmäler schon immer waren. Um Dokumentation oder Wahrheit geht es dabei schließlich nicht, sondern um Erinnerung oder auch lediglich Heraufbeschwörung einer geschichtlichen Fiktion. So kann ein Bild ein ganzes (und oft falsches) »Geschichtsbild« konstituieren. Und so kommt es, dass wir bestimmte Bilder eines Ereignisses immer wieder sehen – ganz so, als gäbe es gar keine anderen. Wobei es manchmal tatsächlich keine anderen gibt, nämlich weil die Realität ganz anders aussah.
Die Methoden der Geschichtsfälschung
Alles in allem gibt es mehrere Methoden der Geschichtsfälschung mittels Fotografien:
So wird beispielsweise ein- und dasselbe Foto einmal als dieses und ein andermal als ein anderes Ereignis verkauft. Zum Beispiel jene Postkarte aus dem Jahr 1905, die Opfer eines antijüdischen Pogroms in Odessa zeigt, wie sich aus der russischen Bildzeile ergibt – falls diese stimmt. Dasselbe Bild wurde später jedenfalls als Beweis für die »Verbrechen der deutschen Horden in Polen« während des Ersten Weltkrieges verkauft. Die ursprünglich russische Bildzeile über den Juden-Pogrom in Odessa wurde dabei fein säuberlich weggeschnitten. Aber ich will hier nicht zu viel verraten. Am besten man stöbert selbst in Becker von Sothens Bild-Legenden, aus denen allzu oft geschichtliche Legenden wurden. Eine kurzweilige Lektüre ist garantiert.
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Gerhard Wisnewski
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