Sie genehmigen sich den Nanga Parbat als Hauptgang und den K2 zum Nachtisch. Sie brauchen kaum Sauerstoff, Nahrung und Wasser. Trotzdem entfalten sie tagelang übermenschliche Kräfte und steigen auf die gewaltigsten Berge der Welt. Sie sind die Superhelden unserer Zeit, neben denen wir uns vorkommen wie kleine Wichte: unsere Extrembergsteiger. Die Frage ist nur: Wie schaffen die das? Geht es dabei wirklich mit rechten Dingen zu? Eine längst überfällige Diskussion…

Reinhold Messner 2015/Von Lesekreis
Seit Anfang August 2013 herauskam, dass die Bundesrepublik in den 70er Jahren eine systematische Doping-Forschung betrieb, ist das Doping wieder in aller Munde. Ob Radfahren, Schwimmen oder sogar Fußball – alle stehen unter Doping-Verdacht. Mit einer Ausnahme – ausgerechnet über eine der spektakulärsten Sportarten redet dabei kein Mensch: das Extrembergsteigen.
Dabei hätten wir all die Jahre ja eigentlich auch selbst drauf kommen können: Können Menschen wirklich auf Dauer die biologischen Naturgesetze außer Kraft setzen und tagelang unter Nahrungs-, Wasser- und Sauerstoffmangel Höchstleistungen vollbringen? Können Menschen wirklich »einfach so« in »eisigen Höhen« überleben, in denen andere längst sterben würden, und dabei auch noch übermenschliche Kräfte entfalten? Ja, können sich Menschen dabei einfach Finger und Zehen abfrieren lassen, ohne ihr Vorhaben aufzugeben? Während die Antwort im Allgemeinen natürlich »nein« lauten muss, weil nun mal kein Mensch auf die Naturgesetze pfeifen kann, antworten unsere Extrembergsteiger dauernd mit »ja«: Ja, man kann ohne Extra-Sauerstoff auf einen Achttausender steigen. Ja, man kann sogar auf alle 14 Achttausender hintereinander steigen. Und ja, man kann dabei zudem noch auf Nahrung und Wasser verzichten und sogar ignorieren, dass einem Finger und Zehen abfrieren.
Supermänner und Wichte
Tja, Herrschaften: Es gibt eben Supermänner, die sich Göttern gleich in ungeahnte Höhen aufschwingen – und kleine Wichte wie uns, die schon auf dem nächstbesten Klettersteig von Zähneklappern und Unterzucker geplagt werden. Alles klar? Nichts ist klar. Denn es spricht viel dafür, dass wir eben doch alle »Fleisch vom selben Fleische« sind und den menschlichen Körper nicht einfach neu erfinden können – dass es eben nicht Götter und Menschen, sondern letztlich doch nur Menschen gibt. Wobei sich dann allerdings die Frage stellt, wie manche zu ihren göttlichen Leistungen kommen. Ja, es erhebt sich der Verdacht, dass die Bezwingung der Achttausender überhaupt nur unter Einsatz von Drogen möglich war. Erst recht, wenn es sich um »Göttinnen« handelte – denn Frauen sind nun mal noch anfälliger für die Höhenkrankheit als Männer. Sind Drogen also das kleine schmutzige Geheimnis der Bergsteigerei?
Ohne Sauerstoff, aber nicht ohne Drogen
Nehmen wir beispielsweise Reinhold »Messners großes Vorbild« (Alpenmagazin), den Pionier der Extrembergsteigerei, Hermann Buhl: der reinste Supermann. Wer bisher der Meinung war, Reinhold Messner hätte 1970 den Nanga Parbat als Erster ohne künstlichen Sauerstoff bezwungen, sieht sich durch einen Blick in die Literatur eines Besseren belehrt. In Wirklichkeit war es der Österreicher Hermann Buhl, der den Himalaya-Riesen (8125 Meter) 1953 als Erster bezwang, und zwar ebenfalls ohne Sauerstoffflasche. Messners Aufstieg von 1970 glich dem von Buhl 1953 in wesentlichen Punkten. So brach schon Buhl zwischen zwei und drei Uhr nachts zum Gipfel auf und erbrachte dabei übermenschliche Leistungen – im Alleingang und ohne Extra-Sauerstoff.
Während nachfolgende Bergkameraden schlapp machten, überwand Buhl bis zur Gipfelankunft um 19 Uhr abends sagenhafte 1300 Höhenmeter. Danach überlebte er ohne Biwakausrüstung eine Übernachtung in 8000 Metern Höhe, wobei ihm mehrere Zehen abfroren. Geplagt von extremer Erschöpfung und Sinnestäuschungen, schaffte er es total dehydriert trotzdem nach über 40 Stunden in der »Todeszone« (über 7000 Meter) aus eigener Kraft zum Ausgangslager zurück.
Mit Siebenmeilenstiefeln, aber ohne Zehen
Genau wie Buhl wählte 1970 auch Reinhold Messner den Nanga Parbat als seinen ersten Achttausender aus. Genau wie Buhl verließ auch Messner nachts zwischen zwei und drei Uhr allein das Zelt. Sein Bruder Günther stieg ihm kurze Zeit später nach. Nachdem beide den Gipfel erreicht hatten, starb Günther Messner unter nicht genau geklärten Umständen. Reinhold Messner aber setzte auf Buhls übermenschliche Leistung sogar noch einen drauf, stieg auf der anderen Seite des Berges ab und vollendete damit die erste »Überschreitung« des Nanga Parbat. Ein Kerl mit Siebenmeilenstiefeln – aber ohne Zehen, wie man überall im Internet besichtigen kann. Beim Abstieg vom Nanga Parbat halluzinierte Messner eine geheimnisvolle Gestalt, die ihm voraus ging und ihn führte.
Höhenflüge mit Crystal Meth
Wie Messner das geschafft hat, wissen wir zwar nicht. Wie Buhl das gelang, dagegen schon. Und zwar mithilfe der hochwirksamen Aufputschdroge Pervitin oder auch Crystal Meth, die schon im Zweiten Weltkrieg zur Bekämpfung aller möglichen körperlichen und psychischen Erschöpfungszustände verabreicht wurde – einschließlich der »Bergkrankheit«. »Ich erinnere mich an das Pervitin«, zitierte die FAZ (online, 22.10.06) aus Buhls Expeditionsbericht: »Es ist verlockend, würde mir wieder neue Kraft geben, neuen Auftrieb, doch nein, die Wirkung hält nur sechs bis sieben Stunden an, dann ist’s vorbei, dann tritt die Reaktion ein, und die könnte böse Folgen haben.« Trotzdem habe er schließlich zwei Tabletten genommen und den Gipfel erreicht. N-Methylamphetamin (so der wissenschaftliche Name) hat es in sich und ist im Grunde genau das, was Extrembergsteiger brauchen. Denn die Einnahme »führt zu einer vollständigen Hemmung von Durst, Hunger, Schmerzen und Müdigkeit« (DocCheck Flexikon).
Gut, wie? Außerdem gelangt der Konsument in einen Zustand der Euphorie und erlangt für einen bestimmten Zeitraum »ein Gefühl von übernatürlicher Stärke und nicht zu trübendem Selbstbewusstsein« (ebenda). Kurz und gut: genau das, was man im Krieg genauso braucht wie bei der Besteigung eines Achttausenders – zumal ohne künstlichen Sauerstoff. Nebenwirkungen wie »totale körperliche Erschöpfung, sowie starke Depressionen« fallen nach so einer Bergtour schließlich nicht weiter auf. Andere Begleiterscheinungen wie Halluzinationen, Paranoia, extremer Narzissmus, Egozentrik, Aggressivität und ein gesteigertes Mitteilungsbedürfnis dagegen schon.
Wo eine Pille ist, ist auch ein Weg
»Der Hermann Buhl hat nicht nur mich inspiriert, sondern viele andere auch, mich besonders, ich gebe das gerne zu«, wird Reinhold Messner zitiert. »Am Nanga Parbat war er am meisten unter ›Drive‹, ich sage nicht unter Druck, sondern unter Drive, und deshalb in der Lage, diese Besteigung zu machen.« Tatsache ist, dass Drogen der Schlüssel zum Verständnis vielleicht nicht aller, aber vieler übermenschlicher Leistungen sind, auch in der Bergsteigerei. Schon die Ersten, die 1950 einen Achttausender bezwangen, die Franzosen Maurice Herzog und Louis Lachenal, stiegen »im Rausch« auf den Gipfel der Annapurna, wie die Welt im Dezember 2012 schrieb (online, 14.12.12): In der Nacht zum 3. Juni 1950 steckten Herzog und sein Bergkamerad Louis Lachenal demnach ohne künstlichen Sauerstoff »oberhalb der so genannten ›Todeszone‹« erschöpft und dehydriert in einer Eiswand namens »Sichel« fest, als sie gleich »mehrere Aufputschmittel« einwarfen. Und siehe da: »Vor allem Herzog war nun aufgeputscht. Er wollte unbedingt zum Gipfel.« Und wo eine Pille ist, ist auch ein Weg: Wenig später standen sie oben.
Eine zentrale Rolle spielt dabei natürlich der jeweilige Expeditionsarzt. Zuständig »für den umfangreichen Medikationsplan der Seilschaft« sei der Expeditionsarzt Jacques Oudot gewesen. Demnach gehörten »Vitamintabletten, Schlafmittel, Aspirin und – Aufputschmittel« zu seiner Bergsteiger-Apotheke.
Plemplem auf dem Gipfel?
Hermann Buhl und Reinhold Messner hatten 1953 bzw. 1970 denselben Expeditionsleiter und -arzt: den Mediziner Dr. Karl Maria Herrligkoffer. Der, schrieb die FAZ am 22.10.2006, »stand in dem Ruf, alles dafür zu tun, dass seine Leute den Gipfel erreichen. Zur Grundausstattung von Herrligkoffers Rucksackapotheke gehörte Pervitin, ein Amphetamin, das die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg als Wachhalter für sich entdeckt hatte«. Bleibt noch die Gretchenfrage nach dem Gott der Götter, dem Supermann der Berge schlechthin – Reinhold Messner. Hat auch er sich bei seinen übermenschlichen Bergtouren, bei denen er unter anderem dem sagenhaften Yeti begegnet sein will, gedopt? Keineswegs, versichert er.
Am Ende seiner Karriere, nachdem er selbst quasi alle Achttausender in der Tasche hatte, schwang er sich stattdessen zum obersten Drogenbeauftragten der Extrembergsteigerei auf – wobei er das weit verbreitete Doping erstens bestätigte und zweitens an vorderster Front anprangerte. Die beiden Annapurna-Bezwinger Herzog und Lachenal beispielsweise hätten 1950 »mehr oder weniger plemplem« auf dem Gipfel gestanden, höhnte er über die Bergsteiger-Kollegen. »Dass sie nach unten gekommen sind, kommt einem Wunder gleich.«
Zum 60. Jahrestag der Erstbesteigung des Mount Everest am 29. Mai 2013 wollte Messner alle Bergsteiger im Basislager zum Pinkeln bitten: »Was glauben Sie, wie viel dort gedopt wird?«, fragte er einen Reporter (n-tv, Website, 29.5.13). Ihn selbst muss man dagegen nicht nach Doping fragen, denn die Antwort hat er längst gegeben. Er, erzählte er der FAZ (ebenda), habe »nie etwas genommen außer einem Aspirin zur Blutverdünnung«.
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Gerhard Wisnewski
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