Erst war der Flughafen von San Francisco an der Bruchlandung der Boeing 777 schuld, dann der Pilot – da soll sich noch einer auskennen! Binnen zwei Tagen drehten sich die Schuldzuweisungen in Bezug auf den Flugzeugunfall der

Asiana Airlines Flug 214, San Francisco, 7. Juli 2013/gemeinfrei
-Maschine vom 6. Juli 2013 komplett. Aber handelte es sich wirklich um ein Versagen des Piloten? Oder wollen hier ganz andere Verantwortliche den Kopf aus der Schlinge ziehen?
»Schau dir den an! Wie er die Nase oben hat!«, ruft der Hobbyfilmer Fred Hayes. Dazu sieht man in weiter Ferne ein Flugzeug auf die im Meer gelegene Piste des Flughafens von San Francisco anfliegen. Der Anstellwinkel des Fliegers scheint in Ordnung zu sein, vielleicht ein bisschen steil. Außerdem scheint die Maschine etwas niedrig zu sein, so, als wollte sie schon auf dem Wasser aufsetzen. Aber wer kann das von hier aus – aus mehreren Hundert Metern Entfernung – schon so genau sagen. Schließlich sieht es doch so aus, als setze das Flugzeug auf der Piste und nicht auf dem Wasser auf. Aber plötzlich zieht die Boeing 777 eine Rauch- oder Staubfahne hinter sich her: »Oh mein Gott, es ist ein Unfall! Oh, mein Gott!«, ruft Hayes.
Anschließend sieht man, wie die Maschine Luft unter eine Tragfläche bekommt. Doch mit Fliegen hat das nichts mehr zu tun. Der Fahrtwind schießt unter eine Tragfläche, hebt die Maschine an und dreht sie um mehr als 180 Grad herum. Das Ganze erinnert an einen nicht sauber gelandeten Modellflieger. Dabei entsteht um das Flugzeug herum eine braune Rauch- oder Staubwolke. 180 der 307 Insassen werden verletzt, zwei chinesische Mädchen aus der Maschine geschleudert und getötet (eins davon wahrscheinlich von einem Rettungsfahrzeug). Eine schwere Havarie.
Eine gesteigerte Idiotie
Und natürlich eine schwere Idiotie. Aber von wem? Vom Flughafen? Oder vom Piloten? Die ersten Urteile fielen ziemlich eindeutig aus: vom Flughafen. »Es war nur eine Frage der Zeit, bis so etwas passiert«, erzählte ein Flugkapitän Spiegel Online. »Ein stabilisierter Anflug in San Francisco ist eigentlich kaum mehr möglich gewesen.« Wegen Umbauarbeiten sei an dem Airport »schon seit einigen Wochen ein Sicherheitssystem für den Landeanflug außer Betrieb«. Spiegel Online nennt das System »Gleitweganzeige«. Gemeint ist aber wohl der so genannte Gleitwegsender, denn die Anzeige befindet sich im Cockpit. Der Gleitwegsender baut für das Flugzeug so etwas wie eine virtuelle Kinderrutsche auf – den so genannten Gleitpfad. Diese Kinderrutsche muss man sich vor der Landebahn vorstellen. Darauf kann die Maschine sicher zum Aufsetzpunkt »herunterrutschen«. Und zwar sowohl automatisch als auch manuell. Die Kunst des Piloten oder des Computers besteht darin, das Flugzeug genau auf der »Rutschfläche« zu halten, also nicht zu tief oder zu hoch anzufliegen. Dafür muss der Pilot bei einer manuellen Landung im Cockpit bestimmte Instrumente beobachten, die ihm anzeigen, ob sich die Maschine ober- oder unterhalb des Gleitpfades befindet und gegebenenfalls entsprechend gegensteuern. Eigentlich ein ziemlich einfaches Geschicklichkeitsspiel. Der Pilot ist dabei nicht besonders kreativ und hat im Grunde auch keinen Spielraum. Und den will er auch nicht unbedingt, denn er will ja möglichst exakt aufsetzen.
Das Erscheinungsbild des Anfluges der Boeing 777 gibt anscheinend dem von Spiegel Online zitierten Piloten Recht. Der Anflug der Maschine sah ganz einfach so aus, als sei die »Kinderrutsche« plötzlich von der Landebahn weggerückt worden, so dass der Pilot viel zu früh aufzusetzen versuchte – nämlich beinahe auf dem Wasser. Oder als sei sie gar nicht vorhanden, so dass das Flugzeug versuchte, sich irgendwie an die Landebahn heranzutasten. Kurz: Der Airliner schien zwar nicht in Bezug auf die Richtung, aber in Bezug auf den Gleitpfad (also die Anflughöhe) orientierungslos. So kam er herein, als würde die Landebahn 200 oder 300 Meter weiter ins Wasser hineinragen – was sie natürlich nicht tat. Und tatsächlich gab die amerikanische Luftaufsichtsbehörde FAA am 7. Juli bekannt, dass der Gleitwegsender für die Landebahnen 28 links und 28 rechts bereits seit dem 1. Juni 2013 abgeschaltet war. Und genau so sah der Anflug ja auch aus – als würde der Gleitwegsender nicht funktionieren.
Sicher landen mit PAPI
Allerdings ist der bei guter Sicht auch nicht nötig. Denn in diesem Fall kann der Pilot eine Maschine mithilfe optischer Gleitwegsysteme herunter bringen. Eines davon ist das PAPI (precision approach path indicator). Klingt kompliziert, ist es aber nicht. Es handelt sich einfach um ein System aus vier weißen und vier roten Lampen neben der Landebahn. Dabei muss man die Maschine so steuern, dass man genau zwei weiße und zwei rote Lampen sieht. Faustregel: Sieht man nur rot, »fliegt man in den Tod« (stürzt man ab), sieht man nur weiß, »landet man im Mais« (fliegt man über die Landebahn hinaus).

Visuelles PAPI-Anflugsystem: Sieht man nur rot, fliegt man in den Tod
Tatsächlich weist die FAA auch darauf hin, dass das PAPI-System bei der Bruchlandung in Betrieb war. Nach Angaben der Behörden benötigt man unter diesen Bedingungen sogar überhaupt keine derartigen Instrumente, um in San Francisco zu landen. Und wirklich sind in den Wochen seit Abschaltung des Gleitwegsenders ja auch viele andere Maschinen dort herunter gekommen, ohne zu crashen. War also doch der Pilot schuld? Denn der flog laut jüngster Berichterstattung ja schließlich viel »zu tief und zu langsam«. Wobei das allerdings auch nur Ausdruck des aus irgendeinem Grunde vorverlegten Aufsetzpunktes gewesen sein könnte. Flog er eben einfach so, als wollte er 200 Meter früher landen? Lag also ein gravierender Orientierungsfehler vor? Aber warum? Wirklich, weil der Pilot nur 43 Stunden Erfahrung auf der Boeing 777 hatte? Schwer zu glauben, denn insgesamt verfügte der Pilot über 10 000 Flugstunden und hatte deshalb bereits viele Landungen erfolgreich absolviert. Mit der Boeing 777 war er insgesamt schon neun Mal gelandet – allerdings noch nie in San Francisco.
Oder lag es daran, dass der Pilot sich höher wähnte, als die Maschine in Wirklichkeit flog? Denn durch den hohen Anstellwinkel des Fliegers könnte der Pilot getäuscht worden sein, vermutete Focus Online: »Berührt das Hauptfahrwerk des Flugzeugs den Pistenasphalt, befindet sich das Cockpit der 777 immer noch in rund 15 Metern Höhe.« »Das ist gewöhnungsbedürftig. Ist der Kollege vorher mit kleineren und damit kürzeren Fliegern unterwegs gewesen, kann man sich beim Umstieg auf diese überlange Maschine vertun«, zitiert die Nachrichtenseite einen deutschen 777-Kapitän.
Extrem hohe Sinkrate
Schließlich könnte es auch daran liegen, dass die Fluglotsen den Flieger zu schnell »heruntergeprügelt« haben: »Die Lotsen würden immer wieder dadurch auffallen, den Piloten eine extrem starke Sinkrate durchzufunken. Vermutlich aus Lärmschutzgründen sollen die Maschinen aus großer Höhe schnell herunterkommen, um möglichst kurz in niedriger Höhe zu fliegen«, zitierte Spiegel Online den erwähnten Flugkapitän. »Häufig ist diese Sinkrate am Maximum dessen, was erlaubt ist, manchmal sogar höher.« Fand sich der Pilot also deshalb plötzlich so tief über dem Wasser wieder? Schon vor drei Wochen habe ein Lufthansa-Airbus in San Francisco durchstarten müssen: »In der Statistik zählt San Francisco derzeit bei Lufthansa als Landeplatz mit einer der höchsten Durchstarteraten.«
Nun darf man gespannt sein, was die Nationale Transportbehörde NTSB herausfindet. Zu viele Hoffnungen darf man sich allerdings auch nicht machen, denn schließlich gilt es hier, die Schuld zwischen einem amerikanischen Flughafen und Flugzeug und einem asiatischen Piloten zu verteilen. Und schließlich gibt es Flugzeugkatastrophen, die von der NTSB überhaupt nicht aufgeklärt wurden, darunter die schlimmsten der ganzen Luftfahrtgeschichte: Die Flugzeugcrashs vom 11.9.2001. Hierzu lieferte das »unabhängige Board« nie einen Untersuchungsbericht ab.
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Gerhard Wisnewski
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