Alles nochmal auf Anfang: Kaum war Mohammed Mursi – vor einem Jahr – nach hochgelobten demokratischen Wahlen ins Amt gewählt worden, wurde der ägyptische Präsident schon wieder weggeputscht. Was hat der Mann nur falsch gemacht? Ganz einfach: Aus der Sicht der Militärs hatte ihnen Mursi das Präsidentenamt nur geklaut…

Ägyptische Revolution 2011/Von Ramy Raoof
Nach der »Revolution« in Ägypten war der Muslimbruder Mohammed Mursi nur ein kleiner politischer Unfall, der alsbald wieder korrigiert werden musste – so ungefähr wie der deutsche Bundespräsident Christian Wulff. Der setzte sich im Rennen um das Präsidentenamt 2010 aus Versehen gegen Joachim Gauck durch – und wurde nach eineinhalb Jahren zugunsten von Gauck wieder aus dem Amt gejagt. Bei Mursi passierte der politische Unfall im Juni 2012, als er hauchdünn (mit 51,7 Prozent) die Stichwahl gegen den angeblich unabhängigen Kandidaten Ahmad Schafiq gewann. Und das war schon sein erster Fehler, denn Schafiq war keineswegs unabhängig, sondern der Kandidat des Militärs. Und das lässt sich das Präsidentenamt nun mal nicht gerne klauen.
Ein schlechter Verlierer jagt den Präsidenten aus dem Amt
Mursis damaliger »unabhängiger« Gegenkandidat Schafiq ist ein ganz hohes Tier in den Streitkräften und damit ein Vertreter des alten, militaristischen Systems. In der Luftwaffe diente er sich von der Pike auf hoch und brachte es vom Kampfpiloten zum Stabschef (1991). Von 1996 bis 2002 war der spätere Wahlverlierer Schafiq gar Oberbefehlshaber der Luftstreitkräfte. Unter Mubarak diente er als Luftfahrt- und zuletzt als dessen Premierminister. Und nicht nur das. Laut Al-Dschasira gehörte oder gehört Schafiq sogar selbst zum Allerheiligsten des ägyptischen Machtsystems, nämlich zum Obersten Rat der Streitkräfte – kurz, zu jenem Militärrat, der nun Präsident Mursi des Amtes enthob. Mit anderen Worten sieht es so aus, als jage hier der Verlierer der Präsidentschaftswahlen von 2012 den Präsidenten aus dem Amt.
Bereits während der Wahlen hatte sich der linke Kandidat Hamdin Sabahi über Foul Play des Militär-Kandidaten Schafiq beklagt und dessen Disqualifizierung gefordert. Dabei ging es um die Vorwürfe eines Polizeioffiziers, das Innenministerium habe Schafiq illegal 900.000 Stimmen zugeschanzt. Zwar habe das Militär offiziell keinen der Präsidentschaftskandidaten unterstützt, schrieb der amerikanische Internetdienst McClatchy.
Aber aus Schafiqs Bemerkungen und der auffälligen Präsenz wohlwollender Sicherheitskräfte bei seinen Wahlkampfauftritten gehe hervor, dass er genau mit jenen Generälen eine kuschelige Beziehung pflege, die er als Herrscher Ägyptens ablösen soll: »Vielleicht ist das keine Überraschung angesichts der Tatsache, dass er ein pensionierter General ist, der einst die Luftwaffe des Landes kommandierte.«
Mubarak und der Militärrat
Noch Fragen? Eigentlich nicht. Bis auf diese vielleicht: Wer hatte eigentlich den Militärrat während der Revolution als obersten Machthaber Ägyptens eingesetzt? Nun, natürlich der greise Husni Mubarak selbst, der bei seiner Abdankung fast 83 Jahre alt war. Als es mit der Herrschaft des Präsidenten zu Ende ging, legte er die Macht in die Hände des Militärrats.
Die angebliche Revolution und damit verbundene Interimsherrschaft des Militärs, das übrigens über die Hälfte seines Etats aus den USA bezieht (1,3 von 2,4 Milliarden Dollar), waren von Anfang an nur ein Schwindel. In Wirklichkeit hat das Militär die Macht mindestens seit Mubaraks Amtsübernahme 1981 inne. Schließlich war Mubarak selbst ein Kind der Streitkräfte.
Direkt nach der Schule trat er in das Militär ein, und genau wie später Schafiq wurde Mubarak schließlich Stabschef und später Oberbefehlshaber der ägyptischen Luftwaffe. Schafiq trat also nur in Mubaraks Fußstapfen und sollte dies schließlich auch als Präsident tun – sozusagen als Produkt der militärinternen Auswahlprozesse für das höchste Staatsamt. Die Revolution sollte nur dazu dienen, die Herrschaft eines neuen (Ex-) Militärführers zu legitimieren und zu tarnen. In Wirklichkeit hätte Schafiq die Fortsetzung des Mubarak-Militärregimes mit einem anderen Aushängeschild bedeutet.
Diese Tour hatte Mursi den Militärs gründlich vermasselt, und dafür erhielt er nun die Quittung…
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Gerhard Wisnewski
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