Preisfrage: Wie nennt man das, wenn türkische Journalisten die Akkreditierung zu einem Prozess verpennen? Nachlässigkeit? Achtlosigkeit? Schlamperei? Keineswegs. Sondern das ist natürlich Rassismus. Und zwar von Seiten des deutschen Gerichts. Genau so wird das jetzt beim Verfahren gegen das angebliche NSU-Mitglied Beate Zschäpe und andere in München dargestellt. Nachdem es sämtliche türkischen Medien versäumt hatten, sich rechtzeitig für das Verfahren anzumelden, müssen natürlich die üblen Deutschen schuld sein…
Gerichtsgebäude in München/Von Bubo
Noch eine Preisfrage: Wie würde wohl der Chefredakteur eines deutschen Mediums reagieren, wenn sein Reporter keinen Platz bei einem wichtigen Prozess ergattert hätte? Richtig: Wahrscheinlich würde er sagen: »Mensch, Müller!« Vielleicht würde er auch noch ein bisschen die Augen verdrehen. Nicht so beim Münchner NSU-Prozess und den daran interessierten türkischen Medien. Sondern da heißt das Motto: »Das hatte Methode. Institutioneller Rassismus ist der Begriff, der hier passt«, so der Migrationsblog der Initiativgruppe e.V..
Die Frage muss aber nicht lauten, wie wichtig den Deutschen die Berichterstattung über das sensible Verfahren gegen die mutmaßlichen NSU-Mörder ist. Vielmehr muss man sich fragen, wie wichtig der Prozess eigentlich den türkischen Pressevertretern ist. Hätten sie ihn wichtig genommen, hätten sie sich beispielsweise für die Pressemitteilungen des Oberlandesgerichts München interessiert. Zum Beispiel für die Pressemitteilung des Gerichts vom 4. März 2013. Dort wurden die Journalisten aufgefordert, sich schriftlich bei der Pressestelle des Oberlandesgerichts München zu akkreditieren. Ganz deutlich konnte man da auch lesen: Die zulässigen Akkreditierungsgesuche »werden in der Reihenfolge des Eingangs berücksichtigt.«
Benachteiligung ausländischer Medien?
Dass es einen regelrechten Ansturm auf die 50 Presseplätze geben und man dabei würde schnell sein müssen, war natürlich klar. Nachdem das Gericht die Akkreditierungsbedingungen am 5. März um 8.56 Uhr auch noch per E-Mail versandt hatte, soll das 50. erfolgreiche Gesuch nach seinen Angaben bereits um 11.42 Uhr festgestanden haben, also knapp drei Stunden später. Ein türkisches Medium war nicht darunter. Laut Margarete Nötzel vom Oberlandesgericht München sind die türkischen Pressevertreter aber zur selben Zeit verständigt worden wie alle anderen auch, »haben aber vielleicht nicht gleich reagiert oder vielleicht nicht gleich die Brisanz erkannt, und deshalb sind sie relativ weit nach hinten gerutscht.« Gemäß dem deutschen Journalisten Christian Fuchs waren die 50 Plätze möglicherweise sogar noch schneller weg. Nachdem Fuchs seine Akkreditierung schon drei Minuten nach dem Erhalt der Pressemitteilung beantragt hatte, sei er trotzdem erst »in der Mitte der Liste gelandet«, nämlich auf Platz 27, berichtete der Freitag.
Aber hat das Gericht wirklich 27 Plätze in drei Minuten vergeben? Wohl kaum. Vielmehr lag das wahrscheinlich daran, dass die Akkreditierungsbedingungen bereits einen Tag vorher auf der Website des Gerichts standen (siehe oben) und sich die ersten Journalisten daher bereits ab dem 4. März um einen Platz bewerben konnten. Nicht mehr nachvollziehen lässt sich allerdings, was Fuchs anschließend zum Besten gibt: Man hätte sehr schnell sein müssen, zitierte ihn der Freitag: »Das war eine klare Benachteiligung auch der Medien, die im Ausland sitzen.«
Interessant ist, was nicht behauptet wird…
Man spürt die Absicht und ist verstimmt. Denn natürlich erreichen E-Mails auch das Ausland in Sekundenschnelle. Und natürlich beschäftigen die wichtigen türkischen Medien auch in Deutschland Redaktionen und Korrespondenten, die erstens ebenfalls Computer besitzen und zweitens natürlich astrein deutsch sprechen. So besitzt die türkische Zeitung Sabah laut Spiegel Online nicht nur einen Redaktionssitz in Hessen, sondern auch ein Korrespondentenbüro in München. So hätte es eigentlich keine Schwierigkeiten geben dürfen, einen Platz zu ergattern. Und so kann man auch noch eine andere Rechnung aufmachen. Bezeichnend ist nämlich nicht nur, was behauptet wird, sondern auch, was nicht behauptet wird. So ist bis jetzt noch kein türkischer Journalist aufgetaucht, der behauptet hätte, sich bis 11.42 Uhr am 5. März um einen Platz beworben zu haben, aber nicht berücksichtigt worden zu sein. Wenn, dann wäre das vielleicht ein Skandal.
»Das Gericht hätte ein bisschen sensibler handeln können«, erzählte trotzdem Ismail Erel, Chefredakteur der Europaausgabe von Sabah in perfektem Deutsch in die Kamera. Und der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, mahnt, »dass das nicht ein Strafprozess ist wie jeder andere, sondern ein Strafprozess mit großen politischen Implikationen.«
Eintritt mit der Rassismus-Karte
Und so wird, noch bevor das Verfahren begonnen hat, schon mal dem deutschen Gericht der Prozess gemacht: »Sollte man dem OLG München den Prozess entziehen?«, fragte beispielsweise der oben erwähnte Migrationsblog der Initiativgruppe e.V., ohne sich seinerseits um rechtsstaatliche Prinzipien zu kümmern. Und aus der Trödelei der türkischen Journalisten wird ihr »Ausschluss aus dem NSU-Prozess«, wie sich Kenan Kolat erregt, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Diesen »Ausschluss der türkischen Medien aus dem NSU-Prozess« hat Kolat »als einen unglaublichen Vorgang beanstandet und das Gericht scharf kritisiert«, heißt es in einer Pressemitteilung der Türkischen Gemeinde. Wer sich so aus dem Fenster hängt, kann freilich leicht hinausfallen. Denn von einem Ausschluss kann in Wirklichkeit gar keine Rede sein.
In Wirklichkeit geht es nur um die 50 fest für die Presse reservierbaren Plätze, bei deren Vergabe die türkischen Pressevertreter offenbar zu spät kamen. Womit den türkischen Journalisten die Prozessteilnahme nicht mehr garantiert werden kann. Wie das Oberlandesgericht am 26. März klar stellte, »sollten diejenigen Medien, für die eine Sitzplatzreservierung nicht möglich ist (Liste 2) keineswegs vom Prozess ausgeschlossen werden. Sämtliche Medien, insbesondere selbstverständlich auch die ausländischen Medien/Medienvertreter, können … am Prozess teilnehmen, indem sie einen der freien Sitzplätze außerhalb des reservierten Bereichs oder einen der freiwerdenden Sitzplätze innerhalb des reservierten Bereichs einnehmen.«
Aber wahrscheinlich hat auch das wieder keiner gelesen. Und das macht auch nichts. Denn schließlich gibt es ja noch die Rassismus-Karte. Und mit diesem Ticket kommt man in Deutschland schließlich überall rein.
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Gerhard Wisnewski
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