Von den Medien verdammt, von Kabarettisten veräppelt und von selbsternannten Sittenwächtern an den Pranger gestellt – womit hat sich die Systempartei FDP die Ehre der Feindschaft des Systems verdient? Noch vor zwei Jahren Everybody‘s Darling, fiel die Partei plötzlich von heute auf morgen in Ungnade. Seitdem wird an den Liberalen kein gutes Haar mehr gelassen. Was hat die FDP nur, was andere nicht haben?
Rainer Brüderle 2004
Komisch – was ist nur mit der FDP los? Was haben alle seit einiger Zeit gegen sie? War sie nicht früher Everybody‘s – und vor allem »Muttis« – Darling? Und natürlich auch der Wähler? Noch 2009 befand sich die FDP auf dem Gipfel des Erfolges – schon vergessen? Seit 2008 hatte die Partei bei Landtagswahlen nur abgeräumt und ausnahmslos Gewinne eingefahren, und zwar bis zu 8,3 Prozent (bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein).
Kein Zweifel: Die FDP war auf dem Weg, eine echte Volkspartei zu werden. Zu verdanken hatte sie das wohl zu einem guten Teil ihrer Steuersenkungskampagne, mit der sie bei den Bürgern zunächst gut ankam. Bei der Bundestagswahl 2009 erzielte sie mit 14,6 Prozent ihr bestes Wahlergebnis aller Zeiten. Auch bei der ersten Landtagswahl 2011 (am 20. Februar) räumte sie noch ab und zog mit einem Gewinn von 1,9 Prozentpunkten erstmals seit 2008 wieder in die Hamburger Bürgerschaft ein.
Doch wie von Geisterhand wendete sich kurz darauf das Blatt. Binnen vier Wochen, von einer Landtagswahl auf die andere, fuhr die Partei nur noch massive Verluste ein. Schon am 20. März 2011 scheiterte die Erfolgspartei in Sachsen-Anhalt plötzlich an der Fünf-Prozent-Hürde. Am 27. März mussten ihre Abgeordneten auch in Rheinland-Pfalz ihre Landtagsbüros räumen. Am selben Tag stürzte die Partei auch in Baden-Württemberg von satten 10,7 auf 5,3 Prozent ab und konnte nur mit knapper Not im Landtag bleiben. Am 22. Mai 2011 flog die FDP in Bremen raus und am 4. September in Mecklenburg-Vorpommern – nachdem ihre Stimmenanteile auf ein Drittel geschrumpft waren. Am 18. September 2011 verlor die FDP bei der Senatswahl in Berlin schließlich fast sechs Prozentpunkte und entwickelte sich mit 1,8 Prozent zur Splitterpartei. Auch 2012 ging es so weiter. Am 6. Mai purzelte die FDP bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein von 14,9 auf nur noch 8,2 Prozent. Erst bei den nächsten Wahlen am 13. Mai 2012 in Nordrhein-Westfalen gelang den Liberalen wieder ein bescheidenes Plus von 1,9 Prozentpunkten (auf 8,6 Prozent).
Die Wege von »Genosse Trend«
Nun waren die Wege von »Genosse Trend« ja schon immer mehr oder weniger unergründlich. Mal schwebt eine Partei auf der Wählergunst von Erfolg zu Erfolg – mal kriegt sie kein Bein auf die Erde bzw. keinen Hintern auf einen Abgeordnetensitz. Aber dass »Genosse Trend« innerhalb von vier Wochen praktisch auf dem Absatz kehrt macht, um für lange Zeit eine ganz andere Richtung einzuschlagen, ist ein ziemlich einmaliges Phänomen in der bundesrepublikanischen Wahlgeschichte. Was war nur passiert? Die Antwort auf diese Frage muss in den geheimnisvollen vier Wochen liegen, die zwischen den Landtagswahlen in Hamburg am 20. Februar (plus 1,9 Prozentpunkte) und jenen am 20. März 2011 in Sachsen-Anhalt (minus 2,9 Prozentpunkte, Auszug aus dem Landtag) lagen.
Geheimnisvolle Trendumkehr bei der FDP (bitte klicken)
Und wer suchet, der findet. Und zwar den 17. März 2011, drei Tage vor den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt. An diesem Tag enthielt sich Deutschland im UN-Sicherheitsrat bei der Abstimmung über einen Militäreinsatz in Libyen der Stimme – zusammen mit Indien, Brasilien, Russland und China. Der damalige Bundesaußenminister Westerwelle (FDP) brachte dafür nur allzu einleuchtende Gründe vor. Man unterstütze zwar die Elemente der Resolution, in denen es um Sanktionen gehe. Im Hinblick auf einen Militäreinsatz sei man jedoch zu einem anderen Ergebnis gekommen: »Es gibt keinen so genannten chirurgischen Eingriff. Jeder Militäreinsatz wird auch zivile Opfer fordern.
Das wissen wir aus leidvoller Erfahrung. Wenn wir abwägen, wie wir uns international verhalten und ob wir uns und wo wir uns beteiligen, dann muss in diese humanitäre Abwägung immer auch mit einbezogen werden, dass es Opfer gibt, auch zivile Opfer gibt«, begründete Westerwelle die Enthaltung in einer Regierungserklärung vom 18. März 2011.
Medien mit Schaum vor dem Mund
Damit hatte es sich Westerwelle mit den entscheidenden globalen Eliten verscherzt. Schon am nächsten Tag bliesen die Medien zum Halali auf ihn und die FDP. »Deutschlands feige Außenpolitik«, schlagzeilte am nächsten Tag die Zeit (online). Das Leib- und Magenblatt der Bilderberger, auf deren Konferenzen die Zeitung seit Jahrzehnten in zentraler Position vertreten ist, führte die Front der Westerwelle- und FDP-Hasser künftig an: »Feige« und »verantwortungslos« sei Westerwelles Einstellung, schäumte das Blatt: »Diese verantwortungslose Haltung wird Folgen haben, nicht nur beim Ansehen Deutschlands bei den Demonstranten der Freiheitsbewegungen.« War das bereits eine Drohung an die Adresse der Freien Demokraten? Habe sich Westerwelle zuvor noch an die Seite der libyschen »Freiheitsbewegung« gestellt, stehe Deutschland nun »an der Seite von Russland und China, Brasilien und Indien«, schimpfte die Zeit. Noch nie habe »Deutschland sich gegen alle seine wichtigen westlichen Partner gestellt«.
Das Imperium schlägt zurück
Und das war ein Schock für diese so genannten »Verbündeten«. Denn die sahen plötzlich die Anti-Gaddafi-Front bröckeln und die westlichen Staatenbündnisse von NATO bis EU in der Krise. »Die NATO, die sich lange Jahre als Siegerin des Kalten Krieges feierte, wirkt wie ein gefesselter Riese«, jammerte die Bilderberger-Postille Zeit: »Eingeschnürt von den nationalen Egoismen der einzelnen Mitglieder.« Selbst die Arabische Liga, die zunächst für eine Flugverbotszone gewesen sei, verurteile »nun die Bombardierungen und die Raketenangriffe«. (Der Witz an der Flugverbotszone war der, dass nun zwar keine libyschen Flugzeuge mehr fliegen durften, dafür aber britische, französische und amerikanische. Und die machten Libyen in großen Teilen dem Erdboden gleich.)
»Gaddafis Truppen haben freie Bahn«, hetzte auch Die Welt, das Zentralorgan des Springer-Konzerns, ebenfalls ein Dauergast auf den Bilderberger-Konferenzen: »Westerwelles Enthaltung ist hasenfüßige Realpolitik.« Und – fast wortgleich mit der Zeit: »Die deutsche Enthaltung ist unverantwortlich«: Wie könne es Guido Westerwelle »verantworten, dass Deutschland nicht für die Flugverbotszone über Libyen gestimmt hat?« Der Welt zufolge verhagelte Westerwelle dem Westen »eine Manifestation der Einigkeit« und »eine Machtdemonstration gegenüber einem hemmungslosen Gewaltherrscher wie Gaddafi«. Deutschland befinde sich »im Abseits« und die Deutschen säßen »in einem Boot mit Russland und China«. »Die deutsche Enthaltung im UN-Sicherheitsrat wurde von den Kommentatoren einhellig verdammt«, schrieb auch der Stern (online) am 19. März 2011.
Gegen Westerwelle und Gaddafi
Kurz: Aus Sicht dieser Blätter stürzten Westerwelle und die FDP den Westen in eine Krise. Und dabei ging es ja nicht nur um Gaddafi, sondern auch um weitere Militäreinsätze in der Zukunft. Westerwelle und die FDP hatten nicht nur das gesamte westliche Bündnis, sondern auch dessen journalistisches Fußvolk gegen sich aufgebracht. Doch das Imperium schlug zurück. Seitdem führte das Bündnis gleich zwei Kriege: einen gegen Gaddafi und einen gegen Westerwelle und die FDP. Schon wenige Tage nach Beginn der konzertierten Medienkampagne bekam die FDP mit dem Rauswurf aus dem Landtag von Sachsen-Anhalt eine erste Quittung. Da die Medienhetze erst angelaufen war, verstärkte sich ihre Wirkung noch und geriet die Partei immer tiefer in die roten Zahlen – mit Verlusten bis zu 6,8 Prozentpunkten (Mecklenburg-Vorpommern, 04.9.2011). Natürlich musste auch Westerwelle selbst weg. Nach der massiven Hetzjagd und den Verlusten bei drei Landtagswahlen verzichtete er auf dem FDP-Parteitag vom 13. Mai 2011 auf eine erneute Kandidatur als Parteivorsitzender. Auch als Außenminister wurde er kaltgestellt und taucht seitdem kaum noch als außenpolitische Größe auf. Und wenn doch, dann mit devoten Ergebenheitsadressen an die westlichen Verbündeten.
Der jüngste Wahlerfolg der FDP in Niedersachsen am 20. Januar 2013 mit fast zehn Prozent der Stimmen war da wohl eine böse Überraschung. Plötzlich drohte die FDP, erneut in der Wählergunst aufzusteigen. Und so ist der prompte Schlag gegen einen neuen Hoffnungsträger der Partei möglicherweise kein Zufall. Just nach der Kür von Rainer Brüderle zum Spitzenkandidaten für die bevorstehende Bundestagswahl fiel der Stern-Reporterin Laura Himmelreich siedendheiß ein, dass sie von demselben Brüderle sexuell schrecklich diskriminiert worden sei. Allerdings war das schon ein Jahr her. Ein ganzes Jahr, in dem sie keine Zeit fand, dies öffentlich zu machen? Es fällt schwer, das zu glauben…
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Gerhard Wisnewski
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