Schon gehört? Bundesverteidigungsminister de Maizière musste wegen Protesten eine Rede abbrechen. Nein? Seltsam. Dann müssen unsere Medien wohl glatt vergessen haben, das zu erzählen. Wie auch die Tatsache, dass es in Leipzig zu regelrechten Unruhen gekommen ist. Dann also hier…
Man schreibt den 6. Dezember 2012, 18 Uhr. Soviel Vorschusslorbeeren hat wohl selten ein Politiker an einer Universität kassiert. Der Hörsaal 3 an der Universität Leipzig ist zum Bersten voll. Der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS, sowas wie der Blinddarm der CDU) hat zu dem Vortrag »Wozu noch dienen? Der Auftrag der Bundeswehr« mit Verteidigungsminister Thomas de Maizière geladen. Kaum hebt der zu sprechen an, brechen Beifall und frenetischer Jubel aus.
Erst recht, als de Maizière ganz beiläufig einstreut, dass er auch noch Honorarprofessor an der Universität Dresden ist. Kein Zweifel: Die jungen Leute sind von dem Politiker begeistert. Besonders bei richtungweisenden Sätzen wie: »Die Bundeswehr ist eine Armee in der Demokratie, und sie ist eine Armee für die Demokratie.« Schließlich ist es einmalig, wie die Bundeswehr Deutschland in den unwirtlichen Gebirgen des Hindukusch verteidigt.
Verteidigungsminister oder Satiriker?
Das heißt: Leichte Zweifel hinsichtlich der Begeisterung beschleichen einen schon. Denn je länger die Situation andauert, desto mehr stellt sich die Frage, ob es sich wirklich um Zustimmung oder nicht vielmehr um eine gewaltige Abfuhr für den Politikdarsteller aus Berlin handelt. Bei dem Satz: »Die allermeisten Einsätze werden durch die Vereinten Nationen legitimiert«, erntet de Maizière herzliches Gelächter. Tatsächlich fällt die Entscheidung schwer, ob da ein Verteidigungsminister oder nicht vielmehr ein Satiriker redet. 90 Prozent der UN-Missionen würden von Soldaten aus Entwicklungsländern bestritten, aber 90 Prozent der Kosten würden von den reichen Staaten getragen, sagt de Maizière. Gespieltes Mitleid im Publikum. Ganz offensichtlich hat niemand Lust, sich eine rezeptpflichtige Politikerrede anzuhören. »Das ist doch lächerlich«, ruft jemand, als de Maizière von einem »ordnenden Beitrag in der Welt« spricht. »Die krasse Mehrheit der Bevölkerung lehnt Kriegseinsätze ab«, wirft ein anderer ein. »Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt«, steht auf einem Transparent. Und das ist nicht irgendein Satz, sondern ein historischer Slogan der Außerparlamentarischen Opposition der 60er-Jahre. Vielleicht auch schon der 50er.
Keine Begeisterung für hohle Phrasen
Von dieser Einlage scheint das Publikum denn auch wesentlich mehr begeistert zu sein als von de Maizières hohlen Phrasen, seinem penetrant staatsmännischen Getue und seiner beiläufig eingestreuten Dresdner Honorarprofessur. Denn diesmal gibt es echten Jubel. »Keine europäische Eingreiftruppe«, heißt es auf einem anderen Transparent. »Nie wieder Krieg!«, schallt es aus der Menge. Seinen ursprünglichen Fahrplan kann de Maizière vergessen. Stattdessen tut er etwas sehr Vernünftiges und fordert einen der Klatscher auf, sich ein Mikrofon zu nehmen und mit ihm zu diskutieren. Ein Student konfrontiert den Bewacher der US-Drogenplantage Afghanistan (die auch den Stoff für deutsche Jugendliche liefert) daraufhin damit, dass sowohl der Kosovo- als auch der Afghanistan-Krieg mit einer Lüge begann.
»Verfassungsschutz auflösen«
So weit, so gut. So etwas wie Aufbruchstimmung machte sich breit. Könnte dies ein Signal für eine längst überfällige Protestbewegung gegen die Merkel- und Schäuble-Junta in Berlin gewesen sein? Schon am 4. Dezember hatten Leipziger im Leipziger Rathaus bei einer Podiumsdiskussion protestiert – mit dem provozierenden Thema »Geheimdienst und Bildungsarbeit – geht das?«. Die Diskussion sollte anlässlich der Eröffnung der Ausstellung über die »freiheitlich-demokratische Grundordnung« stattfinden. Titel: »In guter Verfassung«. Die Ausstellung befasse sich »mit den Grundwerten der Demokratie und der Frage, wie sich Demokratie vor denjenigen schützen kann, die sie abschaffen wollen«, hieß es in einem Leipziger Veranstaltungskalender. Eine gute Frage. Denn eingeladen war mit dem neuen Verfassungsschutz-Präsidenten Gordian Meyer-Plath ausgerechnet Sachsens neuer oberster Verfassungsfeind. »Verfassungsschutz auflösen statt ausstellen«, lautete denn auch das Motto der Proteste. Ein »Verein Engagierte Wissenschaft« gab zu verstehen, es gebe nichts zu diskutieren: Die Idee, ein Geheimdienst könne sich in der Bildungsarbeit engagieren, sei »eine Dreistigkeit sondergleichen«. Dass es in Leipzig im Nachgang der Proteste am 9. Dezember zu regelrechten Unruhen kam, wurde von den Mainstreammedien ebenfalls verschwiegen. Laut Junger Freiheit warfen Demonstranten mit Pflastersteinen und Feuerwerkskörpern auf die Polizei. Die Frage ist nur, ob das wirklich Protestierer oder aber Provokateure waren. Denn normalerweise ist das eine typische Staatstaktik, um Protestbewegungen zu diffamieren und zu bekämpfen. Weshalb sich auch die Frage stellt, ob auch diese Aufrührer wirklich einen Aufbruch wollten – oder nur die Joschka Fischers von morgen werden wollen…
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Gerhard Wisnewski
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