Karl-Theodor zu Guttenberg ist vom Amt des Verteidigungsministers zurückgetreten – endlich. Doch wer glaubte, das habe etwas mit Einsicht in die eigenen Fehler zu tun, sah sich durch die Rücktrittserklärung getäuscht: Eindrucksvoller kann man seine fehlende Eignung für ein Ministeramt wohl kaum noch demonstrieren. Vielleicht sollte man von angehenden Amtsträgern in Zukunft daher keinen Amtseid mehr verlangen – sondern, dass sie zunächst einmal eine Rücktrittserklärung verfassen …

So ist das, wenn die Titanic einen Eisberg rammt: Zuerst gibt es einen gewaltigen Rumms, dann folgt Stille. War irgendwas? Der Dampfer fährt doch noch! Und der Eisberg liegt bereits hinter dem Schiff! Die Stewards beruhigen die Passagiere, und der Kapitän – bzw. »die Kapitänin« – fragt: Eisberg? Blödsinn. Welcher Eisberg? Doch ein großer Teil der Passagiere besteht darauf, dass man soeben einen Eisberg gerammt hat, und der habe im Rumpf ein Riesenloch hinterlassen. Und diesmal ist es nicht nur das ewige Genörgel aus der Holzklasse, diesmal ist es den Beschwerdeführern ernst. Das Schiff fährt zwar noch eine ganze Weile weiter. Der Erste Offizier will Kurs halten, als könne man wie gehabt bis New York durchfahren. Doch schließlich zeigt der Eisberg Wirkung. Der Dampfer verliert an Fahrt und beginnt zu sinken.
So dümpelte Karl-Theodor zu Guttenberg am vergangenen Wochenende tödlich getroffen und ohne Fahrt im politischen Gewässer herum – bis sich sogar die eigenen Unionsfreunde erbarmten und die lahme Ente abschossen, um mal das Bild zu wechseln.
Aber das kann doch nicht wahr sein! Doch, das kann wahr sein. Und wer Karl-Theodor zu Guttenbergs Rücktrittserklärung vom Amt des Bundesverteidigungsministers vom heutigen 1. März 2011 liest, weiß auch, wie es dazu kommen konnte: Zu erklären ist der Vorgang nur mit einer Mischung aus Realitätsverlust, Eitelkeit und der Unfähigkeit, eigene Fehler einzugestehen. Die wichtigste Voraussetzung für ein Comeback ist damit bereits nicht gegeben – anders als seinerzeit etwa bei der Evangelischen Ratsvorsitzenden Margot Käßmann.
»Ich gehe nicht alleine wegen meiner so fehlerhaften Doktorarbeit …«, schreibt der Freiherr im Verteidigungsministerium trotzig den Medien ins Stammbuch. Noch immer ist er nicht bereit, sich einzugestehen, welches Desaster er mit diesem Machwerk und den anschließenden untauglichen Ausreden angerichtet hat.
Als hätte er nicht gerade eindrucksvoll das Gegenteil bewiesen, besteht zu Guttenberg stattdessen darauf, »höchste Ansprüche« an sich selbst anzulegen: Der Grund für seinen Rücktritt »liegt im Besonderen in der Frage, ob ich den höchsten Ansprüchen, die ich selbst an meine Verantwortung anlege, noch nachkommen kann.« Natürlich nicht, ist man versucht zu sagen, denn schließlich ist seine Integrität schwer beschädigt. Nichts da: Der Hauptgrund für seinen Rücktritt liegt darin, dass er sich bei dem fortgesetzten Geschrei der Medien einfach nicht mehr konzentrieren konnte. Schließlich trage er »bis zur Stunde Verantwortung in einem fordernden Amt. Verantwortung, die möglichst ungeteilte Konzentration und fehlerfreie Arbeit verlangt.« »Hört, hört!«, ist man versucht zu sagen. Und diese Konzentration leidet natürlich, betätigt sich Guttenberg als politischer Winkeladvokat, »wenn allerdings, wie in den letzten Wochen geschehen, die öffentliche und mediale Betrachtung fast ausschließlich auf die Person Guttenberg und seine Dissertation statt beispielsweise auf den Tod und die Verwundung von 13 Soldaten abzielt«.
Da haben wir’s: Nicht er ist schuld, sondern alle, die seinen kleinen Ausrutscher zu einer
Riesenaffäre aufgeblasen haben. Nicht er ist »pervers«, sondern alle, die lieber über eine Doktorarbeit statt über 13 verwundete und getötete Soldaten berichten. Die Verbitterung darüber, dass der Tod der drei Soldaten bei der dubiosen Schießerei am 18. Februar 2011 in Afghanistan überhaupt keinen Einfluss auf die mediale Diskussion über seine Doktorarbeit hatte, ist deutlich zu spüren. Statt Guttenbergs Verfehlungen aus den Schlagzeilen zu drängen, verpuffte die Schießerei ganz einfach.
Und statt schleunigst eimerweise Asche auf sein Haupt zu streuen, spielt sich zu Guttenberg weiter als der edle Schutzpatron der ihm »anvertrauten« Soldaten auf. Nicht weil er Fehler gemacht hat, tritt er zurück – nein, sondern um die Soldaten zu schützen. Mit seinem Rücktritt will er die Bundeswehr davor bewahren, dass »es auf dem Rücken der Soldaten« nur noch um seine Person gehe. Das könne er nicht mehr verantworten. In Wirklichkeit, so beschleicht einen das Gefühl, ist das keine Rücktrittserklärung, sondern ein Kündigungsbrief an eine verständnislose Gesellschaft und ihre Medien.
Er, der Hilflose und Gescheiterte, bewahrt das »Amt«, »die Wissenschaft und die mich tragenden Parteien« vor Schaden, der in dieser seltsamen Arithmetik allerdings nicht von ihm ausgeht, sondern letztlich von dem Geschrei, das um seine Person gemacht wurde. Ein Satz wie »ich habe wie jeder andere auch zu meinen Schwächen und Fehlern zu stehen«, wirkt da fast wie ein Fremdkörper, als hätte ihm jemand anderer die Feder geführt.
Warum er erst heute zurücktritt? »Wohl niemand wird leicht, geschweige denn leichtfertig, das Amt aufgeben wollen, an dem das ganze Herzblut hängt«, sagt zu Guttenberg. »Hinzu kommt der Umstand, dass ich mir für eine Entscheidung dieser Tragweite jenseits der hohen medialen und oppositionellen Taktfrequenz die gebotene Zeit zu nehmen hatte. Zumal Vorgänge in Rede stehen, die Jahre vor meiner Amtsübernahme lagen.« Soll heißen: »Die Doktorarbeit? Das ist doch Schnee von gestern.«
»Nachdem dieser Tage viel über Anstand diskutiert wurde«, sei es für den peinlichsten Plagiator der deutschen Politikgeschichte »gerade eine Frage des Anstandes« gewesen, »zunächst die drei gefallenen Soldaten mit Würde zu Grabe zu tragen und nicht erneut ihr Gedenken durch Debatten über meine Person überlagern zu lassen«. Auch sein zögerlicher Rücktritt war daher nur seinem unermüdlichen Bemühen um andere geschuldet. Ja, »es war auch ein Gebot der Verantwortung gegenüber diesen, ja gegenüber allen Soldaten«. Und was sich gehört, weiß Guttenberg plötzlich auch, nämlich, »ein weitgehend bestelltes Haus zu hinterlassen. Weshalb letzte Woche noch einmal viel Kraft auf den nächsten entscheidenden Reformschritt verwandt wurde, der nun von meinem Nachfolger bestens vorbereitet verabschiedet werden kann. Das Konzept der Reform steht.«
Eine letzte Heldentat des Herrn von Guttenberg: Egal, wer diese Bundeswehrreform jetzt durchzieht, sie war letztlich sein, Guttenbergs, Werk.
»Wer sich für die Politik entscheidet, darf, wenn dem so ist, kein Mitleid erwarten. Das würde ich auch nicht in Anspruch nehmen.« In Wirklichkeit ist es genau das, was er sich wünscht, sonst würde er es nicht extra erwähnen. »Ich darf auch nicht den Respekt erwarten, mit dem Rücktrittsentscheidungen so häufig entgegen genommen werden.« In Wirklichkeit hat er es genau auf diesen Respekt abgesehen, sonst würde er ihn nicht erwähnen. Selbst im Rücktritt möchte er noch glänzen.
Doch nun kommt es erst: »Nun wird es vielleicht heißen, der Guttenberg ist den Kräften der Politik nicht gewachsen. Das mag sein oder nicht sein. Wenn ich es aber nur wäre, indem ich meinen Charakter veränderte, dann müsste ich gerade deswegen handeln.«
Dabei war sein fragwürdiger Charakter ja gerade das Problem. Doch statt das genauso zu sehen, heroisiert Guttenberg seinen Charakter und gibt vor, ihn vor den schädlichen Einflüssen der Politik schützen zu müssen. So nach dem Motto: »Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele?« (Matthäus 16,24) Da ist er, der Realitätsverlust.
Schließlich dankt zu Guttenberg »von ganzem Herzen der großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung« und pocht damit darauf, dass angeblich eine Mehrheit der Deutschen hinter ihm stand. In seinem Schlusssatz macht er noch einmal klar: Es liegt nicht an seinen Verfehlungen und seiner Schuld, sondern daran, dass ihm einfach die Kräfte ausgegangen sind. Sein Rücktritt war also nicht moralisch geboten, sondern eine Frage der begrenzten persönlichen Ressourcen: »Ich war immer bereit, zu kämpfen, aber ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht.«
Eindrucksvoller kann man seine fehlende Eignung zu einem Ministeramt wohl kaum noch demonstrieren. Vielleicht sollte man von angehenden Amtsträgern in Zukunft daher keinen Amtseid mehr verlangen – sondern, dass sie zunächst einmal eine Rücktrittserklärung verfassen…
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Von Gerhard Wisnewski
Ein ziemlich saurer Apfel, in den Apple uns da beißen lassen will. Laut netzwelt. de hat der Computerkonzern nämlich einen neuen Bildschirm patentieren lassen, der nicht nur darstellen, sondern auch aufnehmen kann. Erreicht werden soll das durch einen Flachbildschirm zwischen dessen Pixeln sich Kamerasensoren befinden. Auf diese Weise könnte jenes unheimliche Gerät Wirklichkeit werden, das George Orwell 1948 schon in seinem Roman «1984» vorausgesagt hatte: der «Televisor».
Diese ewig dudelnde Propagandakasten konnte die Bürger des in dem Roman beschriebenen Staates nicht nur mit Jubelmeldungen berieseln, sondern sie auch beobachten. Wann das jeweils der Fall war, war dem Kasten allerdings nicht anzusehen, so daß die Menschen unter ständiger Angst leben mußten, beobachtet zu werden.
Mit dem von Apple geplanten Gerät könnte genau das Wirklichkeit werden und dem Bürger die Kontrolle über die Optik des eigenen Wohn- und Schlafzimmers abhanden kommen. Denn anders als eine separate Webcam könnte man die Kamerasensoren des Bildschirms natürlich nicht physisch «ausstöpseln». Wahrscheinlich könnte man sie lediglich durch einen Knopfdruck abschalten; ob sie wirklich aus sind und keine Bilder mehr übertragen, ließe sich für den Nutzer vermutlich aber nicht mehr nachvollziehen. Denkbar wäre auch das Hacken solcher Geräte, um die Kamerafunktion von außen einzuschalten.
http://www.netzwelt.de/news/73445-orwell-lebt-apple-patentiert-den.html
Gerhard Wisnewski
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