Am 6. August 2010 verlor die österreichische Extrembergsteigerin Gerlinde Kaltenbrunner am K2 ihren Bergkameraden Fredrik Ericsson durch einen tödlichen Absturz. Bei Markus Lanz (ZDF) wurde sie jetzt bedauert und durfte ihre Geschichte erzählen. Leider war es nur die halbe Wahrheit. Die ganze lautet: Als Ericsson abstürzte, waren bereits mindestens acht andere wegen der äußerst schlechten Wetterbedingungen umgekehrt oder zurückgeblieben. Nur Kaltenbrunner und Ericsson machten weiter – bis zum bitteren Ende.
K2 Nordseite / Von Kuno LechnerDie Frau ist wirklich arm dran. Fünf Mal hat sie schon versucht, auf den K2, mit 8611 Metern der zweithöchste Berg der Welt, zu steigen und es nicht geschafft. Und beim sechsten Mal schafft sie es wieder nicht: »Es war der 6. August dieses Jahres, als das Drama seinen Lauf genommen hat«, stellt ZDF-Talker Markus Lanz am 1. September 2010 in mitfühlendem Ton Gerlinde Kaltenbrunner vor. Mit ihrem Mann, dem ebenfalls anwesenden Ralf Dujmovits, bringe sie es auf 27 Achttausender. »Kurz vor dem Gipfel des K2, einer der mächtigsten und wie viele sagen, auch einer der gefährlichsten Berge der Welt, musste die Extrembergsteigerin Gerlinde Kaltenbrunner mitansehen, wie ihr Seilkamerad 1000 Meter in die Tiefe stürzte.«
Und das kam so:
Um 1 Uhr morgens sei sie mit Fredrik Ericsson und dessen Freund Trey Cook vom Lager IV in etwa 8000 Metern Höhe zum Gipfel aufgebrochen, erzählt Kaltenbrunner. Fredriks Kollege Trey Cook habe sich die Finger nicht erfrieren wollen und sei um cirka 5 Uhr früh umgedreht. Bei den nicht so steilen Stellen, 45 bis 50 Grad, seien sie und Ericsson ohne Seil geklettert. Im Flaschenhals (einer steilen Schnee- und Eisrinne unterhalb des Gipfels) sei es dann sehr steil geworden, etwa 75 bis 80 Grad. Ericsson und sie hätten immer Abstand gehalten; er sei oberhalb von ihr gewesen. Der Schnee sei »unterschenkeltief« gewesen, und sie hätten sich regelmäßig beim »Spuren« abgewechselt. Und dann sei es passiert:
»Fredrik war voraus und hat einen Haken schlagen wollen, und im nächsten Moment ist er an mir vorbeigestürzt und mit ihm Steine, die mit runtergekommen sind. Drum hab’ ich vermutet, dass ein Stein oder Stück Fels ausgebrochen ist und er den Halt verloren hat und abgestürzt ist, etwa fünf Meter neben mir und etwa 35 Meter über mir.«
Wie sie da so sitzt, spürt man eine große Leere. Fast so, als fehlten ihr ein paar Dimensionen, um das Geschehen emotional zu erfassen. Eben jene Dimensionen, die jede andere Frau (und auch viele Männer) davon abhalten würden, sich in 8000 Metern an einen Berg zu hängen. Ja, fast kommt sie einem abgestumpft vor, wie eine Traumatisierte, welche die Gefahr gar nicht mehr wahrnehmen kann. Muss man so sein, um sich sein Leben lang über Abgründe zu hängen? Oder wird man erst nach einem derartigen Ereignis so?
»Das heißt, da ist ein Mensch tausend Meter in die Tiefe gestürzt …«, versucht Lanz, zu Kaltenbrunner vorzudringen und das furchtbare Ereignis spürbar zu machen. Aber irgendwie scheint er sie nicht zu erreichen. Da ist kein Schlucken und keine tränenreiche Szene, auf die es Lanz wahrscheinlich abgesehen hatte. »Ja«, sagt Kaltenbrunner äußerlich vollkommen unberührt, als hätte der Moderator plötzlich eine Fremdsprache gesprochen.
»Natürlich war das eine sehr schwierige Situation für mich«, fährt sie fort. »Ich hab’ gewusst, ich darf selber jetzt keinen kleinen Fehler machen, sonst bin ich auch weg. Und hab’ wirklich geschaut, dass ich vorsichtig runter komm, und auf 8000 Meter bin ich dann kurz auf die anderen Bergsteiger gestoßen, die ja nicht aufgebrochen sind. Und dort hab’ ich mein Zelt zusammengepackt und bin dann weiter abgestiegen – auch die anderen Bergsteiger …«
Moment! Was heißt: »… auf die anderen Bergsteiger gestoßen«? War da nicht noch was? Zum Beispiel, dass die beiden extra ihr Leben riskierten, um ihr entgegenzukommen? Oder dass das schlechte Wetter und der eisige Wind mindestens acht andere Bergsteiger dazu gebracht hatte, den Gipfelangriff an diesem Morgen nicht zu wagen? Nicht doch. Das Fernsehpublikum bekam nur eine weichgespülte Version zu hören, bei der Kaltenbrunner ganz die tragische Heldin bleiben konnte.
Einer der ersten, die aufgaben, war ausgerechnet Kaltenbrunners Mann Ralf Dujmovits. Und das will etwas heißen. Nicht nur, weil damit ein Ehemann lieber seine Frau alleinließ, als weiter aufzusteigen. Als einziger Deutscher hat Dujmovits auch bereits auf allen 14 Achttausendern gestanden. Auch auf dem K2. Aber am 4. August 2010 wurde die Sache selbst Dujmovits zu heiß. So heiß, dass er seine Frau lieber mit anderen alleine weiterklettern ließ. Denn die wollte bei ihrem sechsten Versuch nun wohl endlich auf den Gipfel kommen – den äußerst widrigen Bedingungen zum Trotz.
In Dujmovits Expeditionsbericht kann man nachlesen, was die Lanz-Zuschauer nicht zu hören bekamen:
Kurz nachdem die Bergsteiger am 4. August »bei allerschönstem Wetter« zu dem 7200 Meter hohen Lager III (dem vorletzten Lager auf dem Weg zum Gipfel) aufgestiegen waren, wurden sie gleich »mit den aktuell schärfsten Gefahren des K2 konfrontiert.« Das Wetter war nämlich ein wenig zu schön: »Die Wärme löste eine Menge Bewegung auf dem Berg aus«, hieß es am 4. August auf der Website des später verunglückten Ericsson: »Den ganzen Tag über waren Lawinen und Steinschlag zu hören.« Und auch Dujmovits bestätigt: »Schon während des Aufstiegs waren wir fortwährendem Steinschlag ausgesetzt.«
Aufgrund der hohen Temperaturen lösten sich immer wieder Steine aus dem Fels und prasselten in die Zelte von Lager III. »Ein kindskopfgroßer Stein schlug direkt unter uns im Zelt von den Polen Tamara und Darek ein: durch Außen- und Innenzelt, durch die Isomatte und durch den Zeltboden. Niemand wurde getroffen, aber fortan saßen auch Gerlinde und ich mit dem Helm im Zelt beim Schneeschmelzen. Die ersten beiden Stunden der Nachtruhe hatte Gerlinde den Helm sogar im Schlaf auf.«
Am nächsten Tag, dem 5. August, habe sich der Steinschlag während des ganzen Aufstiegs zum Lager IV, dem eigentlichen Ausgangslager für den Gipfelangriff, fortgesetzt: »Irgendwann auf ca. 7500 Metern, als ich voraussteigend wieder einen fußballgroßen Stein durch leichtes Berühren mit den Steigeisen abgetreten hatte, war es mir persönlich zu spannend«, schreibt Dujmovits, einer von Deutschlands fähigsten Bergsteigern. Er beschloss, »das Abenteuer K2 2010 zu beenden«. Der beste Bergsteiger ist eben nicht immer der, der auf dem Gipfel ankommt. Die Gefahr, einen Stein auszulösen, »der einen der Kollegen verletzt oder selbst einen Stein abzubekommen«, habe er »noch bei keiner anderen Bergtour so hoch eingeschätzt«. Und damit sei für ihn »der Umkehrzeitpunkt gekommen« gewesen.
Nicht aber für seine Frau: Während Dujmovits am Nachmittag des 5. August wieder im Basislager auf etwa 5000 Metern Höhe gewesen sei, sei Kaltenbrunner in rund 8000 Metern Höhe auf der »Schulter« im Lager IV angekommen. Dort sprangen die nächsten Bergsteiger ab. Von insgesamt neun Personen entschieden sechs, lieber in ihren Zelten zu bleiben, als am nächsten Morgen den Gipfelangriff zu wagen. »Da das Wetter seit ca. 23 Uhr schlecht war, blieben die anderen sechs Bergsteiger in ihren Zelten zurück«, berichtet Dujmovits. »Starker Wind und schlechte Sicht waren die Gründe für die Entscheidung.«
Da waren’s nur noch drei: Kaltenbrunner und zwei andere ließen sich auch von diesen Bedingungen nicht abschrecken. Laut Dujmovits brachen am 6. August 2010 um etwa 1.30 Uhr morgens Kaltenbrunner, Ericsson und sein Freund Trey Cook zum Gipfel auf. Doch gegen 5 Uhr ging auch noch Cook von der Fahne: »Um 7 Uhr meldete sich Gerlinde vom Beginn des sogenannten Flaschenhalses (›Bottleneck‹)«, schrieb Dujmovits in seinem Expeditionsbericht: »Trey sei umgekehrt. Nur noch sie und Fredrik seien im Aufstieg.« Und zwar »bei weiterhin wenig Sicht und kaltem Wind.«
Da waren’s nur noch zwei. Cook habe sich früher schon einmal die Finger erfroren und habe das nicht noch mal haben wollen; deshalb sei er umgekehrt, erklärte Kaltenbrunner in der Lanz-Show später. Nun – auf jeden Fall war es eine weise Entscheidung. Doch leider sprang diese Weisheit nicht auf die beiden letzten verbliebenen Gipfelstürmer – Kaltenbrunner und Ericsson – über. Etwa eine Stunde nach Kaltenbrunners letztem Funkspruch, in dem sie von Cooks Umkehr berichtet hatte, war Ericsson tot – abgestürzt bei dem Versuch, einen Haken einzuschlagen. Oder hatte Ericsson vielmehr eines jener Geschosse erwischt, die den Bergsteigern schon seit zwei Tagen um die Ohren pfiffen? Dann wäre der bodenlose Leichtsinn endgültig offensichtlich gewesen. Doch den genauen Moment des Unfalls hat Kaltenbrunner ja angeblich nicht mitbekommen.
Unter Schock, in schlechtem Wetter und alleine waren ihre Überlebenschancen nicht die besten. Der Gipfel kam ohnehin nicht mehr in Frage, aber auch der Abstieg würde alleine und bei schlechtem Wetter sehr gefährlich sein. Also riskierten trotz schwierigster Verhältnisse noch zwei Männer ihr
Leben, um der gescheiterten Gipfelstürmerin entgegenzusteigen und ihr zu helfen. Und zwar zwei von den Bergsteigern, die aufgrund des schlechten Wetters eigentlich nicht weiterklettern wollten und im Lager IV geblieben waren. »Etwa gegen 9 Uhr traf sie die inzwischen von der Schulter aufgestiegenen Darek Zaluski und Fabrizio Zangrilli«, schreibt Dujmovits und fährt fort: »Ihnen beiden an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank, dass sie bei sehr schwierigen Verhältnissen Gerlinde entgegengestiegen waren«. Tatsächlich gelang es ihnen, Kaltenbrunner und sich selbst kurze Zeit später wohlbehalten zurück in Lager IV zu bringen.
Ganz sieht es so aus, als sei Kaltenbrunner in Wirklichkeit nicht ganz die tragische Heldin, als die sie gefeiert wird. Vielmehr hatte sie wohl verdammt viel Glück, dass sie soviel Leichtsinn und Sturheit nicht auch mit dem Leben bezahlte.
Copyright © 2010 Das Copyright für die Artikel von Gerhard Wisnewski liegt beim Autor.
Von Gerhard Wisnewski
Die schlechte Nachricht zuerst: Die Vogelgrippe lebt. Die gute: Vorwiegend im Hirn unserer Zeitungsredakteure. Vor allem nachts werden sie von dunklen Visionen geplagt, tags darauf verwandeln sie magere Katzen in fette Enten – und zwar auf ihren Titelseiten. Und im Fernsehen mutiert schon mal ein gestreifter Stubentiger plötzlich zu einem durchgeknallten und unberechenbaren Vieh, das um sich schlägt und faucht – so gesehen am 1. März 2006 in irgendeinem namenlosen Sender. Im heute journal vom 2.3.06 beschwerte sich ein leicht verschnupfter Claus Kleber über die vielen Briefe, die dem Sender Panikmache vorwürfen. Natürlich völlig unberechtigt. Trotzig drohte Kleber an, auch künftig, statt sein Gehirn zu benutzen, alles nachzuschwafeln, was ihm irgendwelche «Experten» erzählen.
Den grippekranken Vogel aber schossen am gestrigen 2. März 2006 zwei Münchener Tageszeitungen ab, eine davon die Abendzeitung. Schlagzeile: «Vogelgrippe – Schießbefehl auf Katzen?» Na dann: Gute Nacht. Auch die andere brillierte mit einer kuscheligen Muschi und der Schlagzeile: «Was Sie jetzt alles wissen müssen».

Heraus kam ein Frage-Antwort-Spiel mit Fragen, die uns Anfang März echt auf den Nägeln brennen. Zum Beispiel: «Werden die Badeseen jetzt gesperrt?»
Eine mutige Frage: «Es ist auch nicht möglich, sich durch das Schlucken von Seewasser anzustecken», beruhigt die Abendzeitung Tausende von Eischwimmern, die sich zur Zeit in den Münchner Badeseen tummeln, «das ginge höchstens über die Atemwege.»
Wenn das keine echte Weißwurst-Logik ist! Ich weiß ja nicht, wie die Anatomie eines AZ-Redakteurs aussieht, aber bei mir hängen Atem- und Nahrungswege durchaus zusammen.
Na dann, gute Besserung. Nächste Frage: «Darf mein Kind noch im Park spielen?»
Antwort: «Stellen, die mit Vogelkot beschmutzt sind, sollten gemieden werden.» Schade eigentlich – wo wir uns doch sonst um keinen Dreck scheren und uns so gerne im Vogelkot wälzen! Aber es kommt noch dicker: «Kommt es dennoch zum Kontakt mit Geflügel-Kot, ist Händewaschen Pflicht.» Ach was! Wo wir doch vorher unser Sandwich so gerne mit mit Vogelkot beschmierten Händen gegessen haben. Es ist schon ein Kreuz mit diesen Maßnahmen gegen die Vogelgrippe.
Nächste Frage: «Wie hoch ist die Sterberate bei infizierten Menschen?» Antwort der Abendzeitung: Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben sich weltweit bisher 173 Menschen mit dem H5N1-Virus infiziert. 93 Personen sind an den Folgen des Virus gestorben…» Gemessen an der Erdbevölkerung ist das also praktisch niemand. Eine für den Menschen bedrohliche Vogelgrippe existiert nicht. Aber die Abendzeitung schreibt: «…also über 50 Prozent.» Schon wieder falsch. Denn selbst wenn diese Menschen wirklich an einem gefährlichen Vogelgrippe-Virus gestorben sein sollten, dann passierte ihnen dies in weniger entwickelten Ländern wie China oder der Türkei. Bei uns wäre die Todesrate mit Sicherheit viel niedriger.
Nächste Frage – diesmal von den Kollegen der tz: «Kann eine infizierte Katze das Virus auf Menschen übertragen?»
«Bei engem und längerem Kontakt ja», sagt Radio Eriwan. Quatsch: Der Kölner Virologe Herbert Pfister: «Nur die Frage der Wahrscheinlichkeit sei noch nicht geklärt.» Gut gebrüllt bzw. gegackert. Leider ist aber die Frage, wie wahrscheinlich die Ansteckung des Menschen ist, eben des Pudels Kern.
Naja, keine Antwort ist eben auch eine Antwort und immer noch besser als eine falsche.
Gerhard Wisnewski
c/o Kopp Verlag, Bertha-Benz-Str.
72108 Rottenburg a.N.