Der Tod von Kirsten Heisig ist nicht der einzige mysteriöse Selbstmord in Berlin. Vielmehr gehören solche Todesfälle hier offenbar zur Folklore. »Erhängt im Wald« oder auch in der Gefängniszelle – das ist an der Spree schon ein Klassiker.

»Umgekommen unter mysteriösen Umständen. Muss das nicht der Beginn intensivster Nachforschungen von Mordkommission und Staatsanwaltschaft sein? Offenbar nicht. Nach kurzen, scheinbar lustlosen Ermittlungen lautet das Ergebnis: Selbstmord. Akte geschlossen. Der Fall ist erledigt.« Dieses Zitat könnte sich sehr gut auf den Todesfall Kirsten Heisig beziehen – jene Jugendrichterin, die vor Kurzem angeblich Selbstmord beging und am 3. Juli 2010 tot in einem Wald bei Berlin-Heiligensee aufgefunden wurde. Tut es aber nicht – denn so etwas scheint in Berlin häufiger vorzukommen.
In Wirklichkeit scheint der dubiose Selbstmord durch Erhängen in Berlin zur Folklore zu gehören. Immer wieder erhängen sich Menschen plötzlich im Wald oder auch in Gefängniszellen, und immer wieder können die Behörden trotz zahlreicher Widersprüche beim besten Willen kein Fremdverschulden feststellen, sondern stellen die Ermittlungen ein. Juristisch gesehen scheint Berlin, wie die stattliche Zahl der zweifelhaften Fälle zeigt, irgendwo südlich von Neapel zu liegen.
22. Oktober 1998: »Kunstvoll mit einem Draht und einem Gürtel an einen Baum am Südende einer Grünanlage in Berlin-Britz geknüpft« (Telepolis, 13.01.2002) wird der seit fünf Tagen vermisste Computerhacker Boris F., genannt »Tron«, aufgefunden. Der junge Mann steckte voller Pläne. F. hatte im Rahmen seiner Diplomarbeit in Technischer Informatik nicht nur ein abhörsicheres Telefon namens »Cryptophon« entwickelt, sondern wollte die Technik auch zu einem Massenprodukt für jedermann machen – sowohl für Telefonie als auch für Datenverbindungen im Internet.
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| Hacker-Genie Boris F. starb einen mysteriösen Tod – und mit ihm das Fernmeldegeheimnis. |
Dadurch winkten ihm jedoch nicht nur Ruhm, Erfolg und Reichtum, sondern den Behörden auch das Ende jeglicher Abhörmaßnahmen. Nach seinem Tod wurde denn auch nichts aus dem vertraulichen Telefonieren und Surfen für Otto Normalverbraucher. Was man eigentlich bei jedem »Media Markt« und »Saturn« bekommen sollte, nämlich erschwingliche »Cryptophone«, sucht man da vergebens – und zwar weil vertrauliches Telefonieren für jedermann nicht erwünscht ist. »Obwohl F.s Unterlagen veröffentlicht wurden, fand seither keine Weiterentwicklung durch andere statt.« Mit Boris F. starb also auch endgültig das Fernmeldegeheimnis. Aber Zusammenhänge mit dem Ableben von Boris F. gibt es natürlich nicht, weil Boris F. schließlich Selbstmord begangen hat, und zwar aus gänzlich freien Stücken – genau wie angeblich Kirsten Heisig, die ebenfalls einen ungesunden Einfluss auf die Massen zu bekommen drohte.
Die Berliner Staatsanwaltschaft stellte das Ermittlungsverfahren wegen möglichen Fremdverschuldens im Fall F. denn auch ein. Und dabei störte es auch gar nicht, dass F.s Suizid als einer der seltsamsten Selbstmorde aller Zeiten in die Kriminalgeschichte eingehen dürfte. Denn als man Boris F. (genau wie angeblich Heisig) fünf Tage nach seinem Verschwinden erhängt an einem Baum vorfand, hatte er immer noch die von seiner Mutter gekochte Spaghetti-Mahlzeit im Magen. Da er sie nicht verdaut hatte, konnte das nur heißen, dass er kurz nach dieser Mahlzeit gestorben war. Wie schaffte er es dann aber, fünf Tage an einem Baum zu hängen, ohne dabei zu verwesen? »Ein Hängen der Leiche über einen Zeitraum von drei, vier oder gar fünf Tagen schlossen die Gerichtsmediziner in einer Stellungnahme vom 7.4.2000 daher ›praktisch aus‹« (Telepolis).
Und damit sind wir auch schon wieder bei Kirsten Heisig, denn auch dass sie fünf Tage in unmittelbarer Nähe einer Wohnsiedlung unentdeckt in der sommerlichen Bruthitze gehangen haben soll, ist praktisch ausgeschlossen. Nicht aufgrund ihres Verwesungszustandes, den die Staatsanwaltschaft geheim hält, sondern weil die Leiche dabei sehr viel früher aufgefallen wäre. Daher sind auch andere Fundumstände vorstellbar, für die es Anhaltspunkte gibt, die hier bereits beschrieben wurden.
Bei F. kam man zu dem Schluss, dass er zwar am 17. Oktober 1998 starb, bis kurz vor Auffinden jedoch gekühlt worden sein musste.
28. September 2001: Im Grunewald wird der ehemalige Computerexperte der Berliner Immobiliengesellschaft Aubis, Lars-Oliver Petroll, erhängt aufgefunden. Petroll spielte ein gefährliches Spiel. Als EDV-Fachmann der Aubis sammelte er Daten über die dubiosen Geschäfte der beiden Aubis-Manager Klaus-Hermann Wienhold und Christian Neuling. Für die Aufkäufe und die Sanierung von Plattenbauten erhielten die beiden nicht ausreichend abgesicherte Millionenkredite von einem CDU-Spezi namens Klaus-Rüdiger Landowsky, dem Chef der landeseigenen Bankgesellschaft Berlin. Landowsky heimste von Wienhold und Neuling eine Spende in Höhe von 40.000 Mark »für die CDU« ein.
Das Treiben der drei mündete schließlich in Milliardenverlusten und führte zu dem berühmten Berliner Bankenskandal, der nicht nur die Berliner Bankgesellschaft, sondern auch den damals Regierenden CDU-Bürgermeister Eberhard Diepgen in den Abgrund zog (am 16. Juni 2001 durch Misstrauensvotum gestürzt).
Auf den Festplatten des »Selbstmörders« Petroll liefen alle Informationen zusammen, weshalb er zum Kronzeugen in dem Verfahren gegen Wienhold und Neuling hätte werden können. Möglicherweise hatte Petroll die beiden auch erpresst, denn auf seinem Konto waren kurz vor seinem Tod 10.000 Mark von Wienhold und Neuling eingegangen (manager-magazin, Website, 23.12.2004).
Die Berliner Mordkommission stellte ihre Ermittlungen auf Fremdverschulden dennoch sehr bald ein. Wie es der Zufall so wollte, war der »Selbstmörder« Petroll ein Untergebener eines ehemaligen Kollegen – denn Aubis-Manager Wienhold war zuvor selber bei der Berliner »Mordkommission«.
Schon in den ersten Tagen der Ermittlungen sei die Tendenz zur Selbstmordthese »überdeutlich« gewesen, schrieben die Autoren eines Buches über den Todesfall Petroll (Titel: Tod im Milliardenspiel – Der Bankenskandal und das Ende eines Kronzeugen) laut Tagesspiegel-Website vom 29. März 2004. »Wichtige Zeugen wie ehemalige Aubis-Mitarbeiter« seien nicht vernommen worden. Beweismaterial hätten die Behörden links liegen gelassen, darunter eine SMS mit dem Inhalt: »Wer soll dich killen?«
Ein Strafrichter, der dem Todesfall im Auftrag des Berliner Banken-Untersuchungsausschusses nachging, warf Wienholds ehemaligen Kollegen bei der »Mordkommission« später »schlampige Tatortarbeit« vor. Die Umstände des Leichenfundes böten »sowohl Anhaltspunkte für eine Selbsttötung als auch für einen Mord«, stellte er fest. Am Tatort gab es deutliche Anzeichen für die Anwesenheit mindestens einer weiteren Person bei Petrolls Ableben.
Auch im Fall Heisig wurde übrigens die »Mordkommission« angefordert: »Die haben die Mordkommission geholt, um ja keinen Hinweis zu übersehen und ein Verbrechen auszuschließen«, zitierte der Tagesspiegel (Website) vom 4. Juli 2010 einen Beamten: »Vielleicht, weil sie in einem solch schwierigen Bereich arbeitete, viele Neider hatte und ganz sicher auch, damit es hinterher keine Verschwörungstheorien gibt.«
Was ganz so klingt, als hätte die »Mordkommission« nie ergebnisoffen ermittelt, sondern von vornherein den definitiven Auftrag gehabt, »ein Verbrechen auszuschließen« und »Verschwörungstheorien« das Wasser abzugraben.
Lagen die zum Teil grotesken Widersprüche in den Fällen F. und Petroll noch offen zu Tage, will die Berliner Justiz zu Selbstmorden heute gar nichts mehr sagen. Während zum Beispiel über die Todesursachen und Obduktionen der Loveparade-Opfer von Duisburg offen berichtet wird, wurde über die näheren Umstände des Todes von Kirsten Heisig de facto eine absolute Nachrichtensperre verhängt. Der Tagesbefehl im Umgang mit Selbstmorden in Berlin lautet: »Maul halten!« Und das ist nicht etwa Polemik: Schon 2006 wollte die Justizsenatorin Gisela von der Aue zum Beispiel die sich häufenden Selbsttötungen in den Berliner Haftanstalten nicht mehr veröffentlichen.
Zuvor kam es in der Obhut der Justiz nämlich zu regelrechten Reihenselbstmorden. Immer wieder wurden Häftlinge tot in den Zellen aufgefunden, bei denen kein Grund für einen Selbstmord erkennbar war. Und so ging es immer weiter. Am 31. Oktober 2009 zum Beispiel hing morgens um sechs plötzlich der 20-jährige Matthias L. in seiner Zelle im Haus 9 der Jugendstrafanstalt Plötzensee vom Fenster herab. L. war verdächtig, von dem Schülernetzwerk SchülerVZ Daten gestohlen zu haben und dafür 80.000 Euro erpressen zu wollen. Schon »dass er überhaupt in U-Haft kam, ist ungewöhnlich«, schrieb die Website der B.Z. am 1. November 2009: »Matthias L. war geständig.« Und wer gestanden hat, bei dem entfallen in der Regel die Haftgründe Flucht-, Verdunkelungs- und Wiederholungsgefahr. »Zwar ist er vorbestraft, und die Höchststrafe für ein solches Vergehen beträgt fünf Jahre. Doch er wäre vermutlich mit einer Geld- oder Bewährungsstrafe davongekommen.«
Oder nehmen wir den 18-jährigen Jendrik T.: »Keine Probleme zu Hause, kein Liebesschmerz, keine Depressionen. Familie und Freunde können sich nicht erklären, warum ihr ›Jenne› sich plötzlich die Schnürsenkel aus den Turnschuhen gezogen, daraus eine Schlinge geknüpft und sich am Bettpfosten erhängt haben sollte«, schrieb die Berliner B.Z. (Website) am 31. Mai 2008. »Doch genau so entdeckte ihn ein Angestellter um 1.20 Uhr in seiner Einzelzelle des Polizeigewahrsams Tempelhof.«
Jendrik T.’s einziges Problem bestand wohl darin, dass zuvor seine Geburtstagsfeier etwas ausgeartet und er von der Polizei in Gewahrsam genommen worden war. »In Bierlaune waren sie zu fünft durch die Straßen gezogen, hatten einen Motorroller umgeschubst, eine Scheibe eingeworfen, eine Ampel beschädigt. Anwohner riefen die Polizei, die nahm die Jugendlichen fest«, so die B.Z.. »Weil er sich gewehrt haben soll, kam Jendrik in eine Einzelzelle.«
Was nichts anderes bedeutet, als dass es offenbar zu einer körperlichen Auseinandersetzung mit der Polizei kam, nach der Jendrik T. spontan beschloss, Selbstmord zu begehen.
Die offizielle Berliner Politik besteht wie gesagt darin, die sich häufenden Selbstmorde oder – wenn sie bekannt werden – wenigstens ihre näheren Umstände geheim zu halten und im Dunkeln zu lassen. Dadurch wird ein rechtsfreier Raum geschaffen, in dem jedermann jederzeit Selbstmord begehen kann, ohne dass dies von der Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen oder überprüft werden kann.
Übrigens: Die Bemerkung über Berlin und Neapel war natürlich ungerecht – für Neapel. Denn in Italien können Staatsanwälte anders als in Deutschland immer noch unabhängig ermitteln.
Copyright © 2010 Das Copyright für die Artikel von Gerhard Wisnewski liegt beim Autor.
aktualisiert 23.2.06
Von Gerhard Wisnewski
Wie man weiß, und wie ich an anderer Stelle bereits berichtet habe, stellt die Quelle der Vogelgrippe-Infektion auf Rügen noch immer ein großes Rätsel dar. Wie Ornithologen berichteten, ist die Vogelpopulation auf Rügen im Winter im Grunde isoliert. Daher ist offen, wie und wo sich die Schwäne infiziert haben könnten. «Unklar ist, wann und wie sich die auf der Insel Rügen gefundenen Schwäne angesteckt haben. ‚Dieses aktuelle Phänomen ist nicht zu erklären, denn es hat offensichtlich nichts mit dem Vogelzug zu tun‘, sagte der Leiter des Wilhelmshavener Instituts für Vogelforschung, Franz Bairlein», berichtet das Handelsblatt. Daß das Virus vielleicht schon länger da sein könnte, ist eine reine Spekulation: Denn für Vogelforscher Bairlein ist es ein Rätsel, «wieso möglicherweise schon länger vorhandene Viren nicht schon im vergangenen Herbst entdeckt wurden», so das Handelsblatt. «Damals seien tausende Vögel in Europa untersucht worden. ‚Damals war H5N1 nicht dabei, und jetzt ist es da. Dies ist ausgesprochen eigenartig’», wundert sich der Mann. «Dafür haben wir kein Erklärungsszenario.?
Mal sehen, ob wir eins finden.
Zunächst mal: Eingeschleppt haben können die Schwäne das Virus auch nicht. Die Sache ist nämlich die, daß kein Schwan aus irgendeinem Vogelgrippe-Gebiet nach Rügen fliegt und dort verhungert. «So einen kuriosen Einzelflieger gibt es nicht?, schloß Bairlein einen Zusammenhang mit Zugvögeln als Infektionsquelle laut Handelsblatt aus. «Die in Deutschland verbreiteten Höckerschwäne seien als Parkschwäne weitgehend sesshaft. ‚Nur die Sing- und Zwergschwäne sind arktische Zugvögel und überwintern hier.‘ In der Arktis sei das Virus aber bislang nicht nachgewiesen.»
Da ist guter Rat teuer: war das Vogelgrippe-Virus nun schon vorher da oder nicht? Und wenn ja, wo kam es nur her? Immer schön der Reihe nach.
Tatsächlich ist nun erwiesen: das Vogelgrippe-Virus war wirklich schon vorher da. Und zwar auf der Insel Riems.
Soso. Und wo ist überhaupt die Insel Riems? Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Selbst wenn Sie bei hotmaps.de die höchste Auflösung der Ostseeküste einstellen, werden Sie die Insel Riems nicht finden. Und das liegt nicht an hotmaps.de, sondern an Riems. Denn die Insel mißt nur etwa 1250 mal 300 Meter. Wenn Sie in der Nähe von Greifswald nach ihr suchen, sehen Sie nordöstlich der Ortschaft Mesekenhagen nur einen unscheinbaren Buckel, der in den Greifswalder Bodden hinausreicht, ein bedeutender Lebensraum für Wasservögel, also auch Schwäne.
Keine eingezeichnete Straße, kein Ortsname weist auf der Karte darauf hin, daß sich hier die Insel Riems befindet. Diese Insel finden Sie erst, wenn Sie die Webseite der Firma Riemser Arzneimittel durchsuchen. Die hat freundlicherweise eine Anfahrtskizze ins Netz gestellt.
Aber jetzt wird es erst wirklich kompliziert, denn die von der Riemser Arzneimittel AG als Insel Riems bezeichnete Insel ist gar nicht Riems; darauf hat mich ein Leser freundlicherweise hingewiesen. Riems ist noch kleiner, als die Insel, die wir hier sehen und liegt etwa fünf Kilometer westlich davon. Das, was auf der Karte der Riemser Arzneimittel AG als Riems bezeichnet wird, ist nicht Riems, sondern die Insel Koos. Kompliziert, wie? Beide Inseln liegen eben just an jenem Greifswalder Bodden, an dem auch die so plötzlich von der Vogelgrippe heimgesuchte Insel Rügen liegt. Von Riems bis Rügen sind es nur ein paar Kilometer. Und damit wir jetzt alle noch besser durchblicken, habe ich noch eine Karte mitgebracht:

Doch nachdem Sie die Insel Riems, auf der das Vogelgrippe-Virus nachweislich bereits seit längerer Zeit vorhanden ist, auf der Karte nun gefunden haben: Fahren Sie nicht hin. Jedenfalls nicht unangemeldet. Denn Sie kommen nicht drauf. Die Insel ist dem Vernehmen nach für die Öffentlichkeit gesperrt, genau wie zu DDR-Zeiten. Damals hieß sie noch die «Seuchen-Insel». Heute befindet sich auf Riems das Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit, kurz FLI. Jenes Friedrich-Loeffler-Institut, das sich seit Wochen mit der Diagnose der Vogelgrippe von der benachbarten Insel Rügen hervortut, liegt ausgerechnet nur wenige Kilometer von Rügen entfernt, im südwestlichen Teil des Greifswalder Boddens. Zufälle gibts hier.
Laut der Leserzuschrift gehört oder gehörte auch Koos zum Bestand der Virenforscher. Zu DDR-Zeiten sei es ebenfalls gesperrt gewesen. Ab 1950 soll die Insel Koos in die Tierseuchen-Forschungsanstalt der Insel Riems eingegliedert worden sein. Und besonders spannend ist, daß diese «Seuchen-Inseln» ausgerechnet an bzw. mitten in einem Naturschutzgebiet liegen. Daß also in bzw. in der Nähe eines Naturschutzgebietes mit hoch infektiösen Keimen gearbeitet wird. Das Gebiet darf mit Ausnahme eines Außenstrandes und abseits angelegter Wege angeblich nicht betreten werden.
Und hier gibt es nicht nur Zufälle, sondern eben auch das Vogelgrippe-Virus: «Hinter den Riemser Zäunen sind Erreger der Vogelgrippe, einschließlich des Subtyps H5N1, bereits seit langem präsent», schrieb die netzeitung im Oktober 2005.
Der NDR nannte Riems gar eine «Wahnsinnsinsel», weil hier in zahlreichen Hochsicherheitslabors hochinfektiöse Tierkrankheiten erforscht werden, wie zum Beispiel die Vogelgrippe. «Die hoch gesicherte Virusbank enthält rund 500 Virusstämme und -isolate von Rind, Schaf, Schwein oder Geflügel. Erst vor kurzem hatten die Forscher für die Tests mit einem neuartigen Marker-Impfstoff in den institutseigenen Hochsicherheitsställen Hühner künstlich mit hoch pathogenen Vertretern des Erregers infiziert», schrieb die netzeitung im Oktober 2005.
Und genau über die Köpfe dieser wackeren Forscher, «Über die Ostseeinsel Riems, wo der Hauptsitz des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) hinter hohen Zäunen und Sicherheitstoren beheimatet ist, ziehen derzeit Tausende von Wildgänsen, Schwänen und Kleinvögeln», schrieb im Herbst 2005 die netzeitung. «Die seichten Boddengewässer zwischen den Touristeninseln Rügen und Usedom sind ein Rastgebiet für die potenziellen Einträger der Vogelgrippe.»
Sollten diese Vögel wirklich infiziert gewesen sein, trugen sie also quasi Eulen nach Athen bzw. die Vogelgrippe in den Greifswalder Bodden und nach Rügen, denn die war in der Gegend schon vorher da, und zwar in Riems. Die Vögel flogen auf ihrem Weg in den Greifswalder Bodden und nach Rügen direkt über die Labors von Riems, wo bereits das Vogelgrippe-Virus gedieh. Erstaunlich, wie?
Noch erstaunlicher ist, daß die ersten, in der zweiten Februarwoche 2006 mit dem Verdacht auf Vogelgrippe tot auf Rügen gefundenen Schwäne zur Untersuchung nur ein paar Kilometer weiter ausgerechnet in die Labors von Riems transportiert wurden, wo die Vogelgrippe sozusagen schon auf sie wartete. Prompt wurde tatsächlich das Virus bei ihnen festgestellt. Genaugenommen können sich die Rügener und Boddener Schwäne das Virus also auf zwei Wegen geholt haben: Bei ihrem Weg über die Virusküchen des Friedrich-Loeffler-Instituts oder durch ihre Nachbarschaft zu denselben. Oder erst in dem Moment, in dem sie tot dort angeliefert wurden. Auf eine weitere Möglichkeit komme ich gleich.
«Die tödliche Gefahr lauert ganz in der Nähe», schrieb Spiegel Online am 17. Januar 2006 über das Seucheninstitut auf Riems: «Hinter Stacheldrahtzaun, massiven Mauern, Sicherheitsschleusen und dicken Glasfenstern. Die Wildgänse im Schilf ahnen nichts, schnattern unentwegt, und auch die kleine Entenfamilie am Ufer watschelt gemütlich den Strand entlang. Die Gefahr hat einen Namen: H5N1. Im unweit einiger Nistplätze gelegenen Friedrich-Loeffler-Institut experimentieren Forscher mit dem Vogelgrippe-Virus. Doch die vielen Wasservögel am Strand haben nichts zu befürchten. Europas führendes Forschungszentrum gilt als absolut sicher. Das Virus ist gut verwahrt, mit modernsten Filtern von der Außenwelt abgeschottet.»
Na, hoffentlich.
Laut Spiegel Online forschen die Wissenschaftler «an einem neuartigen Impfstoff gegen die Vogelgrippe. Er soll, anders als die bisher gängigen Präparate, gesunde Vögel nicht nur immunisieren, sondern es zugleich ermöglichen, geimpfte Tiere von infizierten zu unterscheiden.»
Bis es soweit ist, heißt das, daß geimpfte Tiere nicht von infizierten Tieren zu unterscheiden sind. Ergo gelten sie demnach als infiziert. Ist etwa eine «Impfung» die Quelle für die vielen infizierten Schwäne auf Rügen? Sprich: wurden die Schwäne gar nicht infiziert, sondern «geimpft» und gelten seitdem als H5N1-Schwäne?
«Das Impfen gegen die Vogelgrippe ist in der Europäischen Union umstritten, weil geimpfte Vögel das Virus unbemerkt weitergeben können», lesen wir am 23.2.06 bei tagesschau.de. Dennoch dürften Frankreich und die Niederlande «Geflügel vorbeugend gegen die gefährliche Vogelgrippe impfen.»
Merken Sie was? Im Grunde gibt es zwischen «geimpften» und infizierten Tieren nur wenig Unterschiede. «Geimpfte» Tiere sind genau wie infizierte ansteckend, und genau das, was man eigentlich verhindern will, nämlich einen infizierten Bestand und die Gefahr einer Ausbreitung der Vogelgrippe bekommt man durch die Impfung «gegen» die Vogelgrippe. Frankreich und die Niederlande müßten sicherstellen, «dass geimpfte Tiere von nicht geimpften klar räumlich getrennt werden. Vor den Impfungen müssen die Bestände genau auf mögliche Vogelgrippe-Erreger getestet werden. Einmal geimpft, unterliegen die Tiere strengen Transportbeschränkungen. Ihr Fleisch darf aber weiterhin in die anderen EU-Staaten exportiert werden», so tagesschau.de.
Denken wir noch einen Schritt weiter: Bekanntlich grassiert die Angst vor einem mutierten H5N1-Erreger, der von Mensch zu Mensch springen kann. Wie man der Presse entnehmen kann, werden genau gegen einen solchen Erreger Impfstoffe entwickelt. Was aber braucht man zur Entwicklung eines solchen Impfstoffes gegen eine «humane Vogelgrippe»? Genau: Den Erreger. Bevor man also den Impfstoff herstellen kann, muß man erstmal genau den Erreger erzeugen, vor dem sich alle Welt fürchtet – nämlich einen Vogelgrippe-Erreger, der von Mensch zu Mensch überspringt.
Geschieht das auch auf der «Seuchen-Insel»?
Denken Sie jetzt dasselbe, wie ich? Nämlich, daß Sie nicht enden wollen, wie ein Rügener Schwan? Egal, was kommt: Lassen Sie sich besser mal nicht «gegen» die Vogelgrippe infizieren bzw. «impfen».
«Derzeit impfen die Ärzte jedes Tier einzeln», heißt es bei Spiegel-Online über das Riemser Seucheninstitut im Januar 2006: «In Zukunft könnten sie die erforderliche Dosis einfach dem Trinkwasser beimischen.»
Tja, dann…
«Der Prototyp wurde bereits erfolgreich getestet, bis zur Massentauglichkeit dürften aber noch einige Jahre vergehen.»
Ein Prototyp des immunisierenden bzw. «infizierenden» Impfstoffes für Tiere wurde also bereits getestet. Wurde er auch dabei schon dem Wasser beigemischt, womöglich dem Wasser des Greifswalder Boddens oder auf Rügen? Wenn nur Frankreich und die Niederlande die Erlaubnis zur Impfung haben, dann heißt das schließlich: In Deutschland ist die Impfung verboten. Hat das Friedrich-Loeffler-Seucheninstitut eine Sonder-Genehmigung für Forschungszwecke? Und wenn das Institut auch außerhalb seines Bereiches «Impfungen» vorgenommen hat: hat es dafür ebenfalls eine Genehmigung?
Kein Mensch hätte sich jedenfalls wohl träumen lassen, daß die Vogelgrippe so bald in Deutschland ausbrechen würde, und dann auch noch bei den Höckerschwänen. Kein Mensch – bis auf die Forscher des Friedrich-Loeffler-Instituts. Die warnten nämlich schon seit Wochen vor einem Ausbruch der Vogelgrippe in Deutschland und empfahlen die «Aufstallung» von Geflügel ab 1. März 2006. Nur: wer hätte gedacht, daß die Seuche ausgerechnet in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft ausbrechen würde?
Hier ein Auszug aus einem kleinen Vogelgrippe-Tagebuch der Riemser Vogelgrippe-Forscher, zusammengestellt aus den Pressemitteilungen des Friedrich-Loeffler-Instituts (lesen Sie unbedingt auch «Coutdown zur Vogelgrippe – Ein Tagebuch von der Seuchen-Insel» in der Abteilung Dokumentation):
Insel Riems, 14. Februar 2006. Der Nachweis von hoch pathogenem H5N1 Geflügelpestvirus in Nigeria und Italien veranlasste das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) zu einer Neubewertung des Risikos der Einschleppung der Vogelgrippe nach Deutschland. Für über die Südwest- und Zentralroute aus den Brutgebieten im Frühjahr nach Norden ziehende Wildvögel stufte das FLI die Einschätzung von ?gering? auf ?mäßig? hoch. Weiterhin unklar bleibt die Situation in Italien und Slowenien mit bestätigten Funden von hoch pathogenem H5N1 Virus und Verdachtsfällen. Eine Einschleppung des Virus durch Wildvögel über kürzere Entfernung kann demnach aber ebenfalls nicht mehr ausgeschlossen werden. Daher empfiehlt das FLI die Aufstallung des heimischen Geflügels zum nächst möglichen Zeitpunkt.
In den letzten Tagen meldeten einige europäische Länder, unter anderen Bulgarien, Italien und Slowenien, Nachweise oder Verdachtsfälle des Geflügelpestvirus H5N1 bei Wildvögeln, vor allem bei Höckerschwänen. (…) Ein Eintrag durch andere Wasservögel kann ebenso wenig ausgeschlossen werden wie eine Migration der Schwäne aus den Ausbruchsgebieten in Kroatien und dem Donaudelta. ‚Offenbar scheinen Schwäne aber besonders empfindlich für das Virus zu sein und können als Indikatortiere angesehen werden‘, so Mettenleiter. Höckerschwäne sollten daher während des Wildvogel-Monitorings im Frühjahr verstärkt beobachtet und vor allem kranke oder tot aufgefundene Tiere in jedem Fall auf Infektionen mit Influenzaviren untersucht werden.
Jetzt wollen Sie sicher noch wissen, wie das Friedrich-Loeffler-Institut eigentlich ausgerechnet auf die einsame und kleine Insel Riems kam. Nein? Ich erzähls Ihnen trotzdem: Der Gründer Friedrich Loeffler zog 1910 aus Sicherheitsgründen mit seinen Leuten hierher – und zwar nachdem er eine ganze Region bei Greifswald mit der Maul- und Klauenseuche infiziert hatte. Seit 1910 werden auf der Insel Riems Erreger von Tierseuchen erforscht, schreibt Spiegel Online – «in sicherer Entfernung zur nächsten Stadt Greifswald». Aber nicht in sicherer Entfernung zur Insel Rügen.
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,395548,00.html
http://www.fli.bund.de/Startseite.4.0.html
http://www.netzeitung.de/wissenschaft/364651.html
http://www.spiegel.de/wissenschaft/erde/0,1518,401420,00.html
Gerhard Wisnewski
c/o Kopp Verlag, Bertha-Benz-Str.
72108 Rottenburg a.N.