Auffällige Aktiengeschäfte und Unternehmenskäufe vor der Bohrinsel-Katastrophe der »Deepwater Horizon« vom 20. April 2010 erregten bisher schon Verdacht: Hatten einige Leute vielleicht ein Vorwissen von der Explosion? Inzwischen sind weitere Indizien aufgetaucht, dass es bei dem Unfall der »Deepwater Horizon« vielleicht nicht mit rechten Dingen zugegangen sein könnte.
Golf von Mexiko, 20. April 2010. Soeben haben sich über 100 Männer von der brennenden Bohrinsel »Deepwater Horizon« an Bord von Schiffen gerettet. Während manche Überlebende nach ihren späteren Aussagen daran gehindert werden, zu telefonieren, führen andere angeregte Gespräche. Besser gesagt: Aufgeregte Gespräche. Das berichtete jedenfalls der Kapitän eines der Rettungsschiffe laut dem investigativen US-Magazin »Mother Jones« vom 7. Juni 2010. Danach hörte der Skipper ein Telefonat zwischen einem Vertreter des Bohrinsel-Betreibers »Transocean« und einem Gesprächspartner in Houston mit, unter anderem Sitz der in das Unglück verstrickten Bohrfirma »Halliburton«.
Deepwater Horizon in Brand
Demnach schrie der »Transocean«-Mann ins Telefon: »Sind Sie nun verdammt zufrieden? Die Plattform brennt! Ich habe Ihnen gesagt, dass das passieren würde!« Der Gesprächspartner am anderen Ende habe den »Transocean«-Angestellten offenbar beruhigen wollen, denn der sei fortgefahren: »Ich bin verdammt ruhig! Haben Sie kapiert, dass die Plattform brennt?« Auch andere hätten diese Unterhaltung gehört.
Demzufolge haben einige Leute also bereits vor dem Unglück vor einer Katastrophe gewarnt. Betrachtet man die Vorgange näher, drängt sich der Eindruck auf, dass eine Sicherung nach der anderen versagte, ohne dass daraus irgendjemand Konsequenzen zog – oder Konsequenzen ziehen wollte?
Deepwater Horizon Ölfilm
Die Ölreservoire stehen gewöhnlich unter einem hohen Druck, und nur ein ausgeklügeltes Druckmanagement ermöglicht ihre Ausbeutung, ohne dass dabei die Plattform in die Luft fliegt. Der entscheidende Korken auf der sprudelnden »Sektflasche« der Ölquelle ist der sogenannte »Blowout-Preventer«: ein haushohes, komplexes Ventil über der Bohrstelle auf dem Meeresgrund mit mehreren redundanten Sicherungen. Schon vier Wochen vor der Katastrophe seien plötzlich Teile eines wichtigen Dichtungsrings aus dem »Blowout-Preventer« durch die Bohrleitung nach oben gespült worden, berichtete der ehemalige Chefelektroniker der »Deepwater Horizon«, Michael Williams, in der US-TV-Sendung »60 Minutes« vom 16. Mai 2010.
Die Dichtung dient dazu, das Bohrloch druckdicht zu versiegeln. Erst dann kann man den Druck im nach unten führenden Bohrkanal messen und feststellen, ob er zu hoch ist oder nicht. Ist der Dichtungsring dagegen beschädigt, kann der Druck durch ihn entweichen und erscheint bei den Messungen als zu niedrig. Mit anderen Worten: Die Besatzung ist für hohen Druck im Bohrloch blind. In etwa so, als würde jemand ohne Licht mit dem Auto durch die Nacht rasen.
»Machen Sie sich keine Gedanken darüber«, habe man Williams jedoch beschieden. Auch als weitere lebenswichtige Teile des Blowout-Preventers versagten, ist nach Williams Angaben nichts geschehen. Der Verlust dieser Teile sei vergleichbar mit dem Verlust eines Beines, meinte Professor Robert Bea von der Universität von Kalifornien in »60 Minutes«, der mit der Untersuchung der Katastrophe betraut wurde. Bea analysierte schon mehrere nationale Katastrophen, darunter den Unfall der Raumfähre »Columbia« 2003 sowie 20 Offshore-Unfälle.
Damit war der »Korken« auf der »Sektflasche« also schwer angeschlagen. Übertragen auf ein Auto würde das heißen: Hier fuhr jemand nachts nicht nur ohne Licht, sondern auch ohne Bremsen mit hoher Geschwindigkeit auf der Autobahn. Wobei sich schon hier die Frage stellt, wie so etwas möglich ist: Selbst als lebenswichtige Teile des Blowout-Preventers durch die Bohrleitung hochgespült werden, wird die Bohr-Operation nicht gestoppt. Ganz so, als würde es jemand darauf anlegen, dass der Korken der »Sektflasche« wegfliegt und eine Sektfontäne in den Himmel bzw. ins Wasser schießt. Nur dass es sich eben leider nicht um Sekt handelte.
Schon am Morgen des Unfalls habe es deshalb Streit gegeben – in diesem Fall zwischen einem »Transocean«-Manager und dem »BP«-Manager an Bord, berichtete »60 Minutes«: Ob er wisse, worum es da gegangen sei?, fragte der Moderator Professor Bea. »Ja«, antwortete Bea, »darum, wer der Boss ist.« Inhaltlich sei es bei dem Wortwechsel um die Einbringung von drei Zementkorken in den nach unten führenden Bohrkanal durch die Firma Halliburton gegangen. Diese Zementkorken sollten den kilometertief in das Ölreservoir hinabführenden Bohrkanal unten, in der Mitte und oben abdichten, bis mit der Ausbeutung des Reservoirs begonnen werden könnte. Das sollte dann durch eine andere Plattform erfolgen.
Normalerweise verbleibe bei der Zementierung zusätzlich schwerer Bohrschlamm im Bohrkanal, um einen »Blowout« zu vermeiden. Doch diesmal habe der BP-Manager darauf bestanden, den Bohrschlamm vor der Einbringung des letzten oberen Zement-Verschlusses zu entfernen. Damit hätte über dem mittleren Zementkorken und dem defekten Blowout-Preventer nur noch Wasser gestanden. Die unteren Zementkorken hätten versagt, und es sei zum Blowout gekommen.
Das Versagen der Zementkorken wäre nach den Problemen mit dem Blowout-Preventer demnach schon der zweite schwerwiegende Fehler gewesen. Laut Spiegel Online vom 29. Juni 2010 kam 2007 eine Studie zu dem Schluss, »dass der Zementiervorgang das zentrale Problem bei fast der Hälfte aller bisherigen Bohrunfälle im Golf gewesen ist. Und nicht nur dort: Im August vorigen Jahres explodierte eine Ölbohrinsel in der Timor-See vor der Küste Australiens, schätzungsweise 220.000 Barrel Öl traten aus. Auch dort könnte die Unfallursache schlechter Zement gewesen sein. Dessen Hersteller: Halliburton.«
Sollte Halliburton in Sachen Zement ein unsicherer Kantonist gewesen sein, wäre es erst recht ein weiterer Fehler gewesen, über den beiden unteren Zementstopfen nun den schweren Bohrschlamm wegzulassen. «Andere Plattform-Arbeiter haben ebenfalls behauptet, dass sie von BP und seinen Supervisors unter Druck gesetzt wurden, schnell zu machen», schrieb «Mother Jones» am 7. Juni 2010. Sprich: Sonst übliche Prozeduren, zum Beispiel die Einbringung des Bohrschlamms, außer acht zu lassen.
«Transocean-Decksarbeiter Truitt Crawford erzählte der Küstenwache, dass er Unterhaltungen des Bohrinsel-Managements mitbekam, wonach BP durch Ersetzen des Bohrschlamms durch Salzwasser ‹Abkürzungen nehmen› wollte, was dem massiven Druck der Ölquelle weniger Gewicht entgegensetzen würde.»
Auch Arbeiter von Halliburton hätten sich darüber beschwert und BP gewarnt, es werde „ernsthafte Probleme mit dem Gasfluss“ geben, so Mother Jones. Auch das ergibt Sinn. Denn natürlich hat man – ob man der eigenen Arbeit nun vertraut oder nicht – gerne noch eine zusätzliche Sicherung im Bohrloch: in diesem Fall den Bohrschlamm.
Ob der Blowout auch passiert wäre, wenn sich im oberen Teil des Kanals (über den beiden unteren Zementstopfen) noch Bohrschlamm statt Wasser befunden hätte, fragte der »60 Minutes«-Moderator Professor Bea. Die trockene Antwort: »Es sieht nicht danach aus.« Statt also die Hauptsicherung, den Blowout-Preventer, schleunigst zu reparieren, wurden dem gefährlichen Druck der Ölquelle demnach weitere Hindernisse aus dem Weg geräumt. Daraus resultiert wohl der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit oder gar des Vorsatzes. Denn die Experten an Bord der Bohrinsel hätten die Risiken eines solchen Verfahrens natürlich kennen müssen. Ein Busunternehmen, das seinen Fahrer bei Nacht ohne Licht und Bremsen gegen eine Wand fahren lässt, wird sich wohl auch nicht auf einen »Unfall« herausreden können.
Wenn diese Schilderungen stimmen, ist die Katastrophe tatsächlich mit nichts zu entschuldigen, und das Verhalten der Verantwortlichen nähert sich gefährlich nahe dem Vorsatz an. Denn wer ständig entgegen besserem Wissen und entgegen einschlägigen Warnungen handelt, dessen Verhalten ist irgendwann nicht mehr mit bloßer Fahrlässigkeit zu erklären. Vor allem dann nicht, wenn er sein gefährliches und regelwidriges Verhalten sogar gegen den offenen Widerstand anderer Fachleute durchsetzt, wie in diesem Fall offenbar geschehen. Das unterstützt den Vorwurf des Vorsatzes, denn es legt auch einen starken Willen, oder, wenn man so will, eine erhebliche »kriminelle Energie« nahe, die Katastrophe herbeizuführen.
»Die erdrückenden Beweise zeigen eindeutig, dass diese Tragödie vermeidbar gewesen wäre und die direkte Folge von BPs rücksichtslosen Entscheidungen und Maßnahmen ist«, erklärte der Geschäftsführer des US-Erdölkonzerns »Anadarko«, neben «BP» Mitinhaber der Bohrrechte in dem Ölfeld, laut BBC News vom 19. Juni 2010. Wegen BPs »grober Fahrlässigkeit und absichtlichem Fehlverhalten« (»wilful misconduct«) werde man rechtliche Schritte in Erwägung ziehen. Heißt das, dass »Anadarko« so weit geht, bei BP auch Absicht als Grund für die Bohrinsel-Katastrophe in Betracht zu ziehen? Die Grenzen zwischen grober Fahrlässigkeit und Vorsatz sind bekanntlich fließend – und auch die zwischen Unfall und Sabotage.
Copyright © 2010 Das Copyright für die Artikel von Gerhard Wisnewski liegt beim Autor.
Bundesverfassungsgericht – Pressestelle –
Pressemitteilung Nr. 11/2006 vom 15. Februar 2006
Zum Urteil vom 15. Februar 2006 ? 1 BvR 357/05 ?
Abschussermächtigung im Luftsicherheitsgesetz nichtig
§ 14 Abs. 3 Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG), der die Streitkräfte ermächtigt, Luftfahrzeuge, die als Tatwaffe gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden sollen, abzuschießen, ist mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig. Dies entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Urteil vom 15. Februar 2006. Für die Regelung fehle es bereits an einer Gesetzgebungsbefugnis des Bundes. Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG, der den Einsatz der Streitkräfte bei der Bekämpfung von Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen regelt, erlaube dem Bund nicht einen Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen. Darüber hinaus sei § 14 Abs. 3 LuftSiG mit dem Grundrecht auf Leben und mit der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes nicht vereinbar, soweit von dem Einsatz der Waffengewalt tatunbeteiligte Menschen an Bord des Luftfahrzeugs betroffen werden. Diese würden dadurch, dass der Staat ihre Tötung als Mittel zur Rettung anderer benutzt, als bloße Objekte behandelt; ihnen werde dadurch der Wert abgesprochen, der dem Menschen um seiner selbst willen zukommt.
Damit war die Verfassungsbeschwerde von vier Rechtsanwälten, einem Patentanwalt und einem Flugkapitän, die sich unmittelbar gegen § 14 Abs. 3 LuftSiG gewandt hatten, erfolgreich (zum Sachverhalt vgl. Pressemitteilung Nr. 101/2005 vom 17. Oktober 2005).
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
1. Dem Bund fehlt die Gesetzgebungsbefugnis zum Erlass der Regelung des § 14 Abs. 3 LuftSiG. Zwar hat er unmittelbar aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG das Recht zur Gesetzgebung für Regelungen, die das Nähere über den Einsatz der Streitkräfte bei der Bekämpfung von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen nach diesen Vorschriften und über das Zusammenwirken mit den beteiligten Ländern bestimmen. Allerdings steht die in § 14 Abs. 3 LuftSiG enthaltene Ermächtigung der Streitkräfte zur unmittelbaren Einwirkung auf ein Luftfahrzeug mit Waffengewalt mit Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG nicht im Einklang.
a) Die Unvereinbarkeit von § 14 Abs. 3 LuftSiG mit Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG (regionaler Katastrophennotstand) ergibt sich allerdings nicht schon daraus, dass die Einsatzmaßnahme zu einem Zeitpunkt angeordnet und durchgeführt werden soll, zu dem sich zwar bereits ein erheblicher Luftzwischenfall ereignet hat (Entführung eines Flugzeugs), der besonders schwere Unglückfall selbst (beabsichtigter Flugzeugabsturz) aber noch nicht eingetreten ist. Denn der Begriff des besonders schweren Unglücksfalls im Sinne des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG umfasst auch Vorgänge, die den Eintritt einer Katastrophe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwarten lassen. Jedoch wahrt die Einsatzmaßnahme der unmittelbaren Einwirkung auf ein Luftfahrzeug mit Waffengewalt deshalb nicht den Rahmen des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG, weil diese Norm einen Kampfeinsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen bei der Bekämpfung von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen nicht erlaubt. Die «Hilfe», von der Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG spricht, wird den Ländern gewährt, damit diese die ihnen im Rahmen der Gefahrenabwehr obliegende Aufgabe der Bewältigung von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglückfällen wirksam erfüllen können. Die Ausrichtung auf diese Aufgabe im Zuständigkeitsbereich der Gefahrenabwehrbehörden der Länder bestimmt notwendig auch die Art der Hilfsmittel, die beim Einsatz der Streitkräfte zum Zweck der Hilfeleistung verwendet werden dürfen. Sie können nicht von qualitativ anderer Art sein als diejenigen, die den Polizeikräften der Länder für die Erledigung ihrer Aufgaben originär zur Verfügung stehen.
b) § 14 Abs. 3 LuftSiG ist auch mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG nicht vereinbar. Danach ist im Fall des überregionalen Katastrophennotstands zum Einsatz der Streitkräfte ausdrücklich nur die Bundesregierung ermächtigt. Dem werden die Regelungen im Luftsicherheitsgesetz nicht in ausreichendem Maße gerecht. Sie sehen vor, dass der Verteidigungsminister im Benehmen mit dem Bundesinnenminister entscheidet, wenn eine rechtzeitige Entscheidung der Bundesregierung nicht möglich ist. Angesichts des knappen Zeitbudgets, das im vorliegenden Zusammenhang im Allgemeinen nur zur Verfügung steht, wird die Bundesregierung danach bei der Entscheidung über den Einsatz der Streitkräfte im überregionalen Katastrophenfall nicht nur ausnahmsweise, sondern regelmäßig durch einen Einzelminister ersetzt. Dies macht deutlich, dass Maßnahmen der in § 14 Abs. 3 LuftSiG normierten Art auf dem in Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG vorgesehenen Weg in der Regel nicht zu bewältigen sein werden. Darüber hinaus ist der wehrverfassungsrechtliche Rahmen des Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG vor allem deshalb überschritten, weil auch im Fall des überregionalen Katastrophennotstands ein Einsatz der Streitkräfte mit typisch militärischen Waffen von Verfassungs wegen nicht erlaubt ist.
2. § 14 Abs. 3 LuftSiG ist auch mit dem Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG) nicht vereinbar, soweit von dem Einsatz der Waffengewalt tatunbeteiligte Menschen an Bord des Luftfahrzeugs betroffen werden.
Die einem solchen Einsatz ausgesetzten Passagiere und Besatzungsmitglieder befinden sich in einer für sie ausweglosen Lage. Sie können ihre Lebensumstände nicht mehr unabhängig von anderen selbstbestimmt beeinflussen. Dies macht sie zum Objekt nicht nur der Täter. Auch der Staat, der in einer solchen Situation zur Abwehrmaßnahme des § 14 Abs. 3 LuftSiG greift, behandelt sie als bloße Objekte seiner Rettungsaktion zum Schutze anderer. Eine solche Behandlung missachtet die Betroffenen als Subjekte mit Würde und unveräußerlichen Rechten. Sie werden dadurch, dass ihre Tötung als Mittel zur Rettung anderer benutzt wird, verdinglicht und zugleich entrechtlicht; indem über ihr Leben von Staats wegen einseitig verfügt wird, wird den als Opfern selbst schutzbedürftigen Flugzeuginsassen der Wert abgesprochen, der dem Menschen um seiner selbst willen zukommt. Dies geschieht zudem unter Umständen, die nicht erwarten lassen, dass in dem Augenblick, in dem über die Durchführung einer Einsatzmaßnahme nach § 14 Abs. 3 LuftSiG zu entscheiden ist, die tatsächliche Lage immer voll überblickt und richtig eingeschätzt werden kann.
Unter der Geltung des Art. 1 Abs. 1 GG (Menschenwürdegarantie) ist es schlechterdings unvorstellbar, auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung unschuldige Menschen, die sich in einer derart hilflosen Lage befinden, vorsätzlich zu töten. Die Annahme, dass derjenige, der als Besatzungsmitglied oder Passagier ein Luftfahrzeug besteigt, mutmaßlich in dessen Abschuss und damit in die eigene Tötung einwilligt, falls dieses in einen Luftzwischenfall verwickelt wird, ist eine lebensfremde Fiktion. Auch die Einschätzung, dass die Betroffenen ohnehin dem Tod geweiht seien, vermag der Tötung unschuldiger Menschen in der geschilderten Situation nicht den Charakter eines Verstoßes gegen den Würdeanspruch dieser Menschen zu nehmen. Menschliches Leben und menschliche Würde genießen ohne Rücksicht auf die Dauer der physischen Existenz des einzelnen Menschen gleichen verfassungsrechtlichen Schutz. Die teilweise vertretene Auffassung, dass die an Bord festgehaltenen Personen Teil einer Waffe geworden seien und sich als solcher behandeln lassen müssten, bringt geradezu unverhohlen zum Ausdruck, dass die Opfer eines solchen Vorgangs nicht mehr als Menschen wahrgenommen werden. Der Gedanke, der Einzelne sei im Interesse des Staatsganzen notfalls verpflichtet, sein Leben aufzuopfern, wenn es nur auf diese Weise möglich ist, das rechtlich verfasste Gemeinwesen vor Angriffen zu bewahren, die auf dessen Zusammenbruch und Zerstörung abzielen, führt ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Denn im Anwendungsbereich des § 14 Abs. 3 LuftSiG geht es nicht um die Abwehr von Angriffen, die auf die Beseitigung des Gemeinwesens und die Vernichtung der staatlichen Rechts- und Freiheitsordnung gerichtet sind. Schließlich lässt sich § 14 Abs. 3 LuftSiG auch nicht mit der staatlichen Schutzpflicht zugunsten derjenigen rechtfertigen, gegen deren Leben das als Tatwaffe missbrauchte Luftfahrzeug eingesetzt werden soll. Zur Erfüllung staatlicher Schutzpflichten dürfen nur solche Mittel verwendet werden, die mit der Verfassung in Einklang stehen. Daran fehlt es im vorliegenden Fall.
3. § 14 Abs. 3 LuftSiG ist dagegen mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG insoweit vereinbar, als sich die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt gegen ein unbemanntes Luftfahrzeug oder ausschließlich gegen Personen richtet, die das Luftfahrzeug als Tatwaffe gegen das Leben von Menschen auf der Erde einsetzen wollen. Es entspricht der Subjektstellung des Angreifers, wenn ihm die Folgen seines selbstbestimmten Verhaltens persönlich zugerechnet werden und er für das von ihm in Gang gesetzte Geschehen in Verantwortung genommen wird. Auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist gewahrt. Das mit § 14 Abs. 3 LuftSiG verfolgte Ziel, Leben von Menschen zu retten, ist von solchem Gewicht, dass es den schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht auf Leben der Täter rechtfertigen kann. Die Schwere des gegen sie gerichteten Grundrechtseingriffs wird zudem dadurch gemindert, dass die Täter selbst die Notwendigkeit des staatlichen Eingreifens herbeigeführt haben und dieses Eingreifen jederzeit dadurch wieder abwenden können, dass sie von der Verwirklichung ihres verbrecherischen Plans Abstand nehmen. Gleichwohl hat die Regelung auch insoweit keinen Bestand, da es dem Bund schon an der Gesetzgebungskompetenz mangelt.
Diese Presseerklärung liegt beim BVG auch in englischer Übersetzung vor.
Gerhard Wisnewski
c/o Kopp Verlag, Bertha-Benz-Str.
72108 Rottenburg a.N.