»Yo soy Nisman «? Von wegen: Inzwischen will eigentlich niemand mehr »Nisman sein «: Jener angeblich mutige argentinische Staatsanwalt, der der Präsidentin vorgeworfen hatte, die Hintergründe des Attentats auf das jüdische Gemeindezentrum in Buenos Aires von 1994 zu vertuschen – und der kurz darauf tot in seinem Badezimmer aufgefunden wurde. Von diesem Märtyrer der Freiheit redet hierzulande eigentlich niemand mehr, weil die Hintergründe seines Todes einfach zu peinlich sind. In Wirklichkeit war Nisman Berichten zufolge nicht nur durch und durch korrupt, sondern auch ein Agent der westlichen Geheimdienste…

18. Januar 2015, Puerto Madero/Buenos Aires. In einem Appartement im 13. Stock des Wohnturms Torre del Parque klingelt wieder und wieder das Telefon. Es ist die Wohnung von einem gewissen Alberto Nisman, 51 Jahre alt, Staatsanwalt. Doch niemand nimmt ab. Mehrmals stehen seine Mutter und seine Personenschützer vor der Wohnungstür, bekommen sie aber nicht auf. Um 22 Uhr holen sie einen Schlosser, und drinnen findet die Mutter ihren Sohn im Badezimmer. Er ist tot. Erschossen. In seiner rechten Schläfe klafft ein Loch, neben (oder unter) ihm liegen eine Pistole vom Typ Bersa, Kaliber 22, sowie eine Patronenhülse.
So wie die Angelegenheit zuerst in den Medien dargestellt wurde, wies alles auf einen Selbstmord hin. Die Sache war pikant, denn Alberto Nisman war nicht irgendwer. Er war jener Staatsanwalt, der die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner im Fadenkreuz hatte. Am nächsten Tag, dem 19. Januar 2015, sollte Nisman einen ganz großen Auftritt vor dem argentinischen Nationalkongress haben und dem Parlament seine Vorwürfe gegen Präsidentin Kirchner erläutern.
Als Sonderstaatsanwalt arbeitete Nisman an der Aufklärung des »argentinischen 9/11 « – des Anschlags auf das jüdische Gemeindezentrum AMIA (Asociación Mutual Israelita Argentina) in Buenos Aires, bei dem im Sommer 1994 85 Menschen ums Leben kamen und 300 verletzt wurden. Das Attentat wurde angeblich mit einer Ammoniumnitratbombe in einem Lieferwagen durchgeführt. Das jüdische Gemeindezentrum war praktisch dem Erdboden gleich gemacht.
Dieses Verbrechen also wollte der mutige argentinische Staatsanwalt aufklären, und einen Schuldigen hatte er auch schon gefunden: den Iran. Dessen bewaffneter Arm, die palästinensische Hisbollah, sollte das Gemeindezentrum gesprengt und die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner die Verwicklung Teherans aus außenpolitischer Rücksichtnahme vertuscht haben. Nach dem Tode Nismans wurde denn auch sofort die globale Empörungsmaschine gegen Kirchner angeworfen.
Die Regierungschefin sollte Nisman beseitigt haben, um das Verfahren zu stoppen. Weltweit wurden Zehntausende oder gar Hunderttausende mobilisiert und marschierten mit »Yo soy Nisman! «-Schildern durch die Straßen: »Ich bin Nisman! « Dabei hätten sie das lieber nicht getan. Denn inzwischen will eigentlich kein Mensch mehr »Nisman sein «. Wer Nisman wirklich war, stellt
sich nun Stück für Stück heraus.
Peinliches Schweigen
Und die Ergebnisse sind so unangenehm, dass unsere Medien lieber darüber schweigen. Die ersten Enthüllungen kamen von Nismans früherem Mitarbeiter Diego Lagomarsino. Für die Betreuung von Nismans Computern hatte der 38-Jährige ein stolzes Gehalt bekommen: 4400 Euro im Monat – aus einem Regierungsfonds für die Aufklärung des Attentats. Selbst für westliche Verhältnisse war das ein sehr stattliches Entgelt. Inzwischen lieferte Lagomarsino eine Erklärung für sein fürstliches Salär.
Demnach habe er die hohen Bezüge nur erhalten, um Nisman jeweils die Hälfte davon überweisen zu können. Bei der Einstellung habe ihm der Staatsanwalt klar gemacht, dass er die Hälfte seines Gehalts an ihn zu zahlen habe – wofür Strafverfolger eigentlich recht hässliche Ausdrücke haben wie beispielsweise »Veruntreuung «, »Nötigung « und ähnliche. Inzwischen glaubt auch seine geschiedene Frau, dass es bei Nismans Tod um veruntreute Gelder ging. Was ja stimmen kann, aber vielleicht ging es ja nicht nur um Geld, sondern auch um Genugtuung. Und wer weiß, was bei einem solchen Staatsanwalt sonst noch möglich war.
Der Chef der argentinischen Gerechtigkeitspartei, langjährige Minister und jetzige Kabinettschef Aníbal Fernández stellte Nismans Ermittlungsgruppe gar als Potemkinsches Dorf dar, das Geld kassierte, aber nichts tat: »Aníbal Fernández sagte, Nisman ›hatte eine Truppe, die nicht arbeitete‹, aber bezahlt wurde, und dass der Staatsanwalt stets ›den teuersten Champagner‹ zu trinken pflegte, wenn er ausging «, hieß es im Buenos Aires Herald (online, 19.03.2015). Ferner habe der argentinische Generalstaatsanwalt inzwischen zehn irreguläre Arbeitsverträge der Nisman-Truppe gefunden, »wobei viele, die zur Aufklärung der AMIA-Bombenanschäge verpflichtet worden waren, kaum jemals, falls überhaupt, ins Büro kamen « (telesur, online, 19.02.15).
Wenn man das weiterdenkt, kann Nismans Team die umfangreichen Anklagen gegen iranische Verdächtige und Präsidentin Kirchner also kaum selbst erarbeitet haben. Entweder hat sich der Staatsanwalt seine Schriftsätze einfach aus den Fingern gesogen, oder sie wurden von jemand
anderem geschrieben. Nismans Truppe selber schien dazu nicht in der Lage, sondern hauptsächlich dazu da gewesen zu sein, Aktivität zu simulieren und Regierungsgelder abzuziehen.
Zwar konnte sich Nisman nicht mehr verteidigen, aber diese Behauptungen stammten ja nicht nur von der Regierung, sondern auch aus dem Mund von Nismans Ex-Frau, seines Mitarbeiters Lagomarsino und aus Ermittlungen des Generalstaatsanwalts, der zehn fragwürdige Arbeitsverträge vorliegen hatte. »Wir sind hier unter die Schurken gefallen, einschließlich Nisman «, setzte nach dessen Tod Kabinettschef Fernández zur Generalabrechnung an: »Fernández sagt, Nisman habe sich auf Argentiniens Kosten mit Frauen umgeben und das Gehalt von Diego Lagomarsino aufgeblasen, jenes Mitarbeiters und Freundes, der ihm die Waffe geliehen hatte, die in den frühen Morgenstunden des 19. Januar [Montag] neben seinem Körper gefunden wurde « (Deutsche Welle, online, 18.03.2015).
Nun, das steht noch auf einem anderen Blatt, aber tatsächlich war es so, als wäre mit dem Tode Nismans eine Eiterblase aufgeplatzt, die schon lange prall gefüllt war – wobei das Ableben des Staatsanwalts den totalen Kollaps auslöste. Der hochpolitische Todesfall entwickelte sich plötzlich auch noch zur kriminellen Intrige.
Schwer zu ertragen, nicht wahr: Hier wurde also derselbe Staatsanwalt, der nach seinem Tod als globaler Held der Gerechtigkeit gefeiert wurde ( »Yo soy Nisman «), als Chef einer kriminellen Vereinigung hingestellt, deren Sinn und Zweck darin bestanden zu haben schien, den Iran zu verleumden, sich selbst zu bereichern und auch noch die argentinische Präsidentin Kirchner zu stürzen.
Ist das nicht unglaublich? Nicht unbedingt, denn schon seit geraumer Zeit werden immer wieder die fragwürdigsten Figuren zu globalen Helden aufgeblasen und das Publikum dazu gebracht, sich mit ihnen zu identifizieren – seien es nun die erschossenen Zeichner des französischen Schmuddelblattes Charlie Hebdo oder der russische Putin-Kritiker Boris Nemzow (der Putin nicht
verzeihen konnte, dass er zu dessen Gunsten von Boris Jelzin übergangen worden war).
Direkte Befehle von der US-Botschaft
Dabei geht es im Fall Nisman noch weiter. Alberto Nisman war nicht in erster Linie Staatsanwalt und auch nicht Chef einer kriminellen Vereinigung, sondern Agent. So fand der investigative Journalist und Buchautor Santiago O’Donnell bei seiner Auswertung von WikiLeaks–Dokumenten »klare und starke Verbindungen und ›Freundschaft‹ zwischen Nisman, der CIA und der argentinischen Botschaft in Washington, D.C. «. O’Donnell entdeckte, »dass Nisman direkte Befehle von der US-Botschaft erhalten hatte, nicht den syrischen und lokalen Spuren bei dem AMIA-Anschlag nachzugehen, sondern von der feststehenden Schuld iranischer Verdächtiger auszugehen, ohne dass es einen Prozess gegeben hatte « ( »Alberto Nisman «/ »Death of Alberto Nisman «, engl. Wikipedia, abgerufen am 15.02.2015).
»Nisman ging an die US-Botschaft, wo man ihm sagte, er habe den Iran zu beschuldigen «, zitierte die argentinische Nachrichtenseite télam polítika O’Donnell (15.01.2015). Derselbe Journalist sagte auch, Nisman selbst habe ihm erklärt, dass all seine Informationen – also die Anklage gegen den Iran und Kirchner – von dem argentinischen Geheimdienstchef Jaime Stiusso gekommen seien, dem mutmaßlichen Verbindungsmann zu (den verbündeten Geheimdiensten) CIA und Mossad.
Was übrigens auch der Grund war, warum die argentinische Präsidentin bald nach Nismans Tod ein Dekret zur Auflösung des argentinischen Geheimdienstes unterschrieb. O’Donnell: »Nisman leitete seine Entscheidungen und Entwürfe an die US-Botschaft weiter, so dass sie dort korrigiert werden konnten. « Siehe auch O’Donnells Bücher:
Ein U-Boot von CIA und Mossad
Nach mehr als 21 Jahren sei der Bombenanschlag auf das jüdische AMIA-Zentrum der korrupteste Fall des Landes geworden, »bei dem obszöne Einmischungen von Israels Mossad, Amerikas CIA und FBI Gaunereien beinhalteten wie falsche Beweise einer nicht existenten Autobombe zu platzieren, vielversprechendere Spuren zu unterdrücken und Gelder an falsche Zeugen zu bezahlen, um die Hisbollah zu beschuldigen, entweder über Syrien oder – seit 2006 – über den Iran «, hieß es auf der Website des russischen Senders Russia Today (26.01.2015).
Einer der wichtigen Akteure sei ein mächtiger argentinischer Geheimagent mit dem Namen Jaime Stiusso, der systematisch die amerikanische und israelische Version dieses schrecklichen Verbrechens [Anschlag auf das AMIA-Zentrum] gefördert hat, was zur fälschlichen Beschuldigung
des Irans führte. »Stiusso, der mit voller Unterstützung von CIA, Mossad und MI6 rechnen konnte, wurde der Mentor von Staatsanwalt Nisman, der, nachdem er im Jahr 2004 mit der Untersuchung betraut worden war, systematisch und freudig erregt mit dem Finger auf den Iran deutete. «
Dieser »Der Iran war es «-Mythos sei unter der George-W.-Bush-Regierung höchst willkommen gewesen – als Teil von Bushs Strategie, nach dem 11.09.2001 den Nahen Osten zu überrennen. Erneuten Einfluss habe die Geschichte nach 2006 gewonnen, »als die israelische Invasion und Bombardierung des Libanon und der Hisbollah dazu führte, dass eine ganze israelische Panzerdivision von der Hisbollah, die von Herrn Nasrallah ausgebildet und vom Iran bewaffnet worden war, ausradiert wurde «. Mit anderen Worten war Nisman in Wahrheit ein U-Boot von CIA und Mossad mit dem Auftrag, die argentinisch-iranischen Beziehungen genauso zu torpedieren wie die Regierung von Cristina Fernández de Kirchner.
Posthum wurde er dafür mit einem Grabstein mit dem Davidstern und in den Farben der israelischen Flagge geehrt: »Bestattet wurde Nisman neben einem Denkmal für ›Die Gefallenen zur Verteidigung des Staates Israel‹ «, schrieb die Süddeutsche Zeitung vom 14./15. März 2015 (Druckausgabe). Und das war er ja auch: ein Soldat in einem geostrategischen Krieg gegen den Iran, Argentinien und deren Verbündete. Und zuletzt war er tot vermutlich nützlicher als lebendig.
Gerhard Wisnewski
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